Der weite Raum der Sängerin Barbara Barth

Von Dietrich Schlegel. Für die Jazzsängerin Barbara Barth ist bezeichnend, dass auf sie dieser Begriff zu eng gefasst ist, denn sie besticht durch eine ungewöhnliche Bandbreite ihrer stimmlichen Präsenz. Folgerichtig zieht sie als Berufsbezeichnung auch „Stimme“ / „Voice“ vor. Die in Köln lebende Saarländerin bewegt sich bewusst zwischen den Polen swingender Standards und mit Elektronik experimentierender Avantgarde.

In diesem weiten Spielraum bringt sie Erstaunliches an Klängen, Lauten, Geräuschen hervor, mit einer Stimme, die glasklar in den Höhen und voller Wärme in den tieferen Lagen klingt. Sie kann scatten like hell, fauchen, kreischen, flüstern, hauchen und auch wunderschön alte Songs singen, ein bestechender Reichtum an Facetten und Nuancen, dokumentiert auf bereits vier Alben. Eines nennt sie selbstbewusst „This is… Barbara Barth“. Zugleich bleibt sie selbstkritisch und bekennt „I’m still on my way…“

Von der Klassik zum Jazz

Ihr Weg führte Barbara Barth, die 1983 in dem kleinen Dorf Braunshausen bei St. Wendel im Saarland geboren wurde, erst nach einem längeren Vorlauf zum Jazz. Gern gesungen hat sie schon als Kind und als Schülerin, sang in verschiedenen Chören, nahm dann an der Kreismusikschule in St. Wendel auch Querflöten- und Klavierunterricht. Vom 14. bis 18. Lebensjahr erhielt sie dort auch klassischen Gesangsunterricht, an dem das Interesse aber nachließ, als sie in der Schulband altersgemäß Rock- und Popsongs vorzog. Mit Jazz war sie weder zu Hause, wo ihre musikalischen Interessen stets gefördert wurden, jedoch klassische Musik vorherrschte, noch im Gymnasium in Berührung gekommen. Dazu bedurfte es eines anderen Anstoßes.

Die Abiturientin hatte sich nach reiflicher Überlegung entschlossen, Psychologie zu studieren, in Trier, der ihr von der ZVS zugewiesenen nächstgelegenen Universität. Sie sang weiter in einer Rock/Pop-Coverband, doch war auch der Wunsch wieder erwacht, an ihren klassischen Gesangsunterricht anzuknüpfen. Ihr wurde Heinrich Thiel empfohlen, ein in der Region sehr bekannter Jazzsänger, wovon sie aber nichts ahnte. Als sie bei ihm aufkreuzte, erklärte er ihr einrich Thiel emHhhhmmmmvon vornherein: „Du kannst gern zu mir in den Unterricht kommen, aber wir machen Jazz!“ Und so kam sie erstmals bewusst mit Jazz in Berührung: „Dieser Unterricht hat mich total mit Jazz infiziert. Ich habe sofort bemerkt, dass diese Art zu singen, genau zu mir passt, dass ich mit meiner Stimme viel nuancierter umgehen kann, wenn ich Jazz singe.“

Thiel hat Barbara zwar überwiegend „nur“ an Standards ausgebildet, aber: „Er hat immer sehr schöne, sehr besondere Standards ausgesucht, mir CDs mit nach Hause gegeben, auch im Unterricht viel Musik aufgelegt. Er hat mir durch seine Begeisterung und seine Musikalität, sein Melodieempfinden, natürlich auch seine spezifische Gesangstechnik den Jazz regelrecht eingepflanzt.“

Vorbilder

Befragt nach Vorbildern, nennt Barbara Barth die hierzulande  weniger bekannte amerikanische Sängerin Tierney Sutton, die Heinrich Thiel   besonders schätzte und die er seiner neuen Schülerin als erste präsentierte. Außer ihr, die sie bis heute noch öfter auflegt, nennt sie die Großen des weiblichen Jazzgesangs Ella Fitzgerald, Nancy Wilson, Peggy Lee, Carmen McRae, aber auch aktuelle Sängerinnen wie Maria Pia de Vito, Gretchen Parlato, Esperanza Spalding, Norma Winstone, Eva Cassidy, Joni Mitchell, auch Sänger wie Theo Bleckmann und Jeff Buckley. All diese Namen und viele mehr, auch aus dem Bereich des instrumentalen Jazz wie Maria Schneider, Chet Baker, Carlos Bica nennt Barbara Barth wegen ihrer beeindruckenden künstlerischen Präsenz, nicht etwa wegen eines bestimmten Stils, den es nachzuahmen gelte. Da geht sie – wie sie immer wieder betont – ihren eigenen, von Neugier auf stets Neues bestimmten Weg, der jedoch bei aller Liebe zum Jazz erst einmal nicht ganz gradlinig verlief.

Absolute Herzenssache

Allein schon rein zeitlich galt es, das Studium und den Jazzgesang in Übereinklang zu bringen, zumal sie letzteren unbedingt weiter entwickeln wollte. Sie hat dann ihr Studium, das sie immer engagiert betrieben hat und als prägend für ihr Leben wertschätzt, erfolgreich mit einem Diplom abgeschlossen. Aber die Psychologie, für die sie sich nach wie vor sehr interessiert, empfand sie nie als gleichwertig zu ihrer Liebe zur Musik und dem Jazz, für sie „absolute Herzenssache“, denn: „Ich habe immer gespürt, dass Musik und Gesang für mich etwas Besonderes sind. Wenn ich Jazz gesungen habe, war ich hundertprozentig bei mir selbst, als wär es das, was ich eigentlich bin. Das hat mich immer zutiefst erfüllt. Auch das Musizieren mit anderen, in einer Band, im Duo oder Trio, gehörte dazu. Ebenso die Offenheit für immer Neues, immer neu zu Lernendes, von der Harmonielehre bis zur Improvisation, um nur diese zu nennen. Das wollte ich schon die ganze Zeit intensivieren, auch während des Studiums, habe oft mit dem Gedanken gespielt, mich für ein Musikstudium zu bewerben, es aber immer wieder verworfen, weil ich es mir noch nicht zugetraut habe.“

Schließlich wurde der Wunsch dann doch in die Tat umgesetzt. Die Diplom-Psychologin Barbara Barth begann 2009/2010 an der Folkwang Universität der Künste (UdK) in Essen zu studieren, bei der angesehenen, von ihren Studenten verehrten Dozentin Romy Camerun Jazzgesang und bei dem ebenso renommierten Saxophonisten Matthias Nadolny Improvisation. Komposition wurde zwar nicht als Fach angeboten, aber das Umfeld an der UdK inspirierte und motivierte Barbara Barth immer wieder dazu, sich auch darin auszuprobieren und ihren eigenen Stil zu entwickeln. So begann sie ihre ersten Stücke zu komponieren und zu arrangieren, mit zunehmendem Erfolg, wie ihre CDs beweisen. Das Studium in Essen hat sie 2014 mit dem Bachelor of Music abgeschlossen. Den Master möchte sie nicht noch dranhängen, denn: „Ich habe jetzt genug studiert, zehn Jahre lang. Sechs davon in Trier und nochmals mehr als vier Jahre in Essen. Ich möchte natürlich weiter lernen und nehme auch weiterhin Unterricht, wenn es zeitlich passt, aber ich möchte mein Leben nicht nochmal nach Studienplänen strukturieren.“

Stattdessen lebt und arbeitet sie seit dem Studienabschluss als professionelle Musikerin, gibt Konzerte mit eigener Band oder als Mitglied anderer Formationen, produziert ihre CDs, für die sie viel selbst komponiert und textet, ist Voice in the Band im Blue Art Orchestra des Pianisten und Arrangeurs Georg Ruby, arbeitet an eigenen Projekten oder beteiligt sich an anderen wie dem von ihr und sechs weiteren Absolventinnen der UdK gegründeten und jährlich in Essen veranstalteten PENG Festival. Sie erfüllt selbst einen Lehrauftrag für Jazzgesang, Improvisation, Gehörbildung und Jazzchor an der Hochschule für Musik Saarbrücken, gibt privaten Gesangsunterricht und arbeitet auch noch einmal wöchentlich in einer psychologischen Beratungsstelle. „Meine Tage sind gut ausgefüllt“, stellt sie befriedigt fest, aber: „Ich versuche auch, mir keinen Druck aufzubauen, denn daraus erwächst auch keine gute Musik, keine schöne Komposition. Der Umgang mit sich selbst ist wichtig, darauf zu achten, dass man in der Balance bleibt.“

Tatsächlich strahlt Barbara Barth im Gespräch eine innere Ruhe aus, wirkt sehr nachdenklich und reflektiert. Wer sie aber live im Konzert erlebt, staunt über die Energie, die aus dieser zierlichen Gestalt strömen kann und die selbst noch in Studioaufnahmen zu spüren ist. So wie in dem zornigen „What Would You Do?“ auf ihrer ersten, 2015 als Abschluss des Studiums an der Folkwang Uni dort aufgenommenen Platte „This is… Barbara Barth“, dem sie sogleich eine zärtliche Ode an den „First Snow“ folgen lässt. Mit dieser Debut-CD beweist Barbara Barth (plus Florian Boos, ts, cl; Manuel Krass, p; Philipp Klahn, dr; Moritz Götzen, b), dass sie bereits über eine eigene Handschrift verfügt. Vier von sieben Titel sind eigene Kompositionen, zu denen sie – wie auch künftig – stets ihre eigenen Texte schreibt – nachdenkliche, feinsinnige Gedichte in englischer Sprache, die auch für sich selbst stehen können, oft mehr Fragen als Statements, selbstreflektierend, in spannungsreicher Dramaturgie kunstvoll eingewoben in die musikalische Ausformung. Einige sind auf ihrer Homepage nachzulesen. Manchmal ist auch der Text schon im Kopf und wartet auf eine Komposition.

Frischer Glanz für rote Rosen

Barbara hat aber auch großen Respekt vor den Texten anderer Autoren, etwa deutscher Chansons aus der Zeit eines Theo Mackeben oder auch der Knef. Auf der 2016 bei JazzHausMusik erschienenen CD „eins und eins…“ mit der von Georg Ruby geleiteten experimentellen Band JassLab de Cologne (plus Markus Koch, tp, flgh; Sebastian Büscher, ts; Moritz Götzen, b; Vince Deckstein, dr) werden diese Texte allerdings auch ganz kräftig durch die Mangel gedreht, mit dem überraschenden Effekt, dass scheinbar abgedroschene Evergreens wie „Frauen sind keine Engel“ oder der berühmte noch in Berlin verbliebene Koffer oder auch die irgendwie doch längst verblühten roten Rosen der Knef einen neuen sprachlichen Sinn und frischen Glanz erhalten. Absolut hörenswert!

Auf „In Spheres“, dem jüngsten ihrer vier Alben, 2018 auf JazzHausMusik, wagt sich Barbara Barth mit dem Pianisten und Keyboarder Manuel Krass auf die elektronische Schiene, experimentiert mit durch digitale Technik  verfremdeter Stimme, erzeugt Geräusche und Sounds, erzählt – wie sie formuliert – „Geschichten aus Worten, Lauten und Klängen“, vertraute Songs wie „The Windmills Of Your Mind“ oder „Every Time We Say Goodbye“, die aufs erste kaum wiederzuerkennen sind, aber beim zweiten, dritten Zuhören einen anderen Zugang zu den Texten öffnen. So erhalten zum  Beispiel die Worte „I die a little“ in „Every Time…“ einen anderen, tieferen Sinn – aus Melancholie wird Schmerz.

Und dazwischen, 2016 bei Luxaries Records, Barbaras Ellington Trio mit „Duke’s Place“, mitreißend swingend, modern, doch durchaus werkgetreu arrangiert und interpretiert mit dem Kölner Pianisten Gero Körner und Caspar van Meel am Bass sowie als Special Guest dem hier exakt dazu passenden Trompeter Klaus Osterloh (ex WDR Big Band, Atlanta Jazz Band u. a.). Im  Frühjahr wird eine zweite CD mit diesem Trio aufgenommen werden.

Strange Fruits

Barbara Barths Credo lautet: „Ich lege mich nicht auf ein Genre fest. Wenn ich selbst schreibe, meine eigenen Projekte mache, dann wird das auf jeden Fall modern, auch mit experimentellem Ansatz. Ich improvisiere viel und gern, das ist einer meiner Schwerpunkte. Ich habe mit der Zeit immer mehr Sounds oder Vokabeln dazu genommen. Einfach nur zu singen, ist mir oft zu wenig. So wie die Instrumente ja auch ganz unterschiedliche Klangfarben produzieren, so habe ich mich auch immer weiter entwickelt. Dazu kommt aber auch, dass ich absolut gerne Standards singe. Ich finde, man muss nicht nur eines machen, in eine Richtung gehen, sondern ich mache das, was mir Spaß macht und künstlerische Befriedigung verschafft, und da gehört für mich traditioneller Jazz einfach dazu.“

Und schon geht es weiter mit dem neuesten Projekt Barbaras, das frei und kühn improvisierende Trio barth.büscher.steinmann (Barbara Barth, voc; Sebastian Büscher, ts; Veit Steinmann, Cello). Auf diese Weise war Lionel Hamptons „Midnight Sun“ noch nie zu hören, und ganz sicher auch nicht die erschütternde Ballade „Strange Fruit“, die jeder in Billie Holidays Version kennt, doch von diesem Trio völlig neu interpretiert wird, Ohnmacht und Trauer ebenso schmerzhaft vermittelnd, wenn auch auf andere, unserer Zeit gemäße Weise, als es die große Tragödin des Jazzgesangs zu ihrer Zeit vermochte. Ein jüngstes Beispiel für die keine musikalische Herausforderung scheuende Jazzsängerin, Vokalistin, Voice – was auch immer – Barbara Barth.

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