Text und Fotos von Stefan Pieper. Erst war es für das Münchener Leo-Betzl-Trio nur ein Experiment, mal eine „Techno-Nummer“ ins Programm zu nehmen. Mittlerweile ist ein ganzes Abendprogramm und eine ganze CD daraus hervorgegangen. Und was im Januar beim Jazzfestival Münster noch etwas kammermusikalisch- verhalten vonstatten ging, entfesselt ein knappes Jahr und 40 Liveauftritte später ein gewaltiges Potenzial, das in der Hertener Schwarzkaue Schlägel und Eisen viele Zuhörer von den Stühlen holte – und eintauchen ließ!
In Detroit eroberten DJs leere Fabrikhallen zu den ersten Raves, was man gemeinhin als Geburtsstunde des Techno betrachtet. Fast drei Jahrzehnte später erfolgt im Rahmen der Konzertreihe Fine Art Jazz in Herten eine „Eroberung“ aus gegensätzlicher Richtung. Wieder findet Techno in Reinkultur statt. Unerschütterlich pulsiert der Vierviertel-Beat. Songstrukturen haben hier nichts verloren. Tiefe Subbässe wabern, hämmernde Snaredrum-Synkopen funken im richtigen Moment dazwischen, ebenso allerhand andere, meist abstrakte Klangereignisse oder aufs absolute Minimum reduzierte melodische Figuren. Denn der richtige Moment, die kluge, treffsichere Dosierung ist alles, damit treibende Magie entsteht. Und genau daraus ergibt sich die Schnittstelle für den Schlagzeuger Sebastian Wolfsburger, den Pianisten Leo Betzl und Maximilian Hirning, der hier den Bass spielt: Auch gute Jazzmusiker pflegen die Kunst, aus dem Moment heraus das genau passende zu schöpfen.
Jubelschreie
Mit Dramaturgie Euphorie herauskitzeln geht etwa so: Den Bass zurücknehmen, um ihn wenige Takte später mit voller Wucht zuschlagen zu lassen. Jubelschreie sind Lohn solcher Aktionen. LBT haben sich und ihrem rein akustischen Instrumentarium so ziemlich das gesamte Vokabular der verschiedenen Subgenres von elektronischer Tanzmusik einverleibt. Bei LBT gibt es keine Sampler, stattdessen hält Bassist Maximillian Hirning eine Spraydose ins Mikro, auf dass es giftig zischelt. Aufblitzende Klavierkaskaden wie in der House-Stilistik üblich, zeigen, wie allgegenwärtig Jazz in der ganzen Musikwelt ist. Ebenso kommen bei LBT Spurenelemente aus der Neuen Musik oder der Minimal Musik ins Spiel, die ja für das Entstehen von Techno auch eine Voraussetzung war.
Endlos könnte dies an diesem Abend so weitergehen, aber die phyischen Grenzen sind begrenzt: Repetitive Musik in ununterbrochenen langen Sets von Hand zu spielen fordert den Ausführenden eine Menge Kraftreserven ab, wie Maximilian Hirning im Gespräch hinterher bekundete. Deswegen hatten die drei in ihrer allerletzten Zugabe auch schon auf Entschleunigung umgeschaltet – mit einer friedlichen Jazzballade!