Drei Acts auf der Hauptbühne des Hauses der Berliner Festspiele. Bereit zur Präparation von Musik, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Dieses Mal Beobachtungen vom Parkett aus, statt aus Bird’s Höhle und seiner akustischen Hölle gestern.
Präparation des Instruments: Eve Risser mit Après un rêve
Zu vörderst Eve Risser an einem vielfältig präparierten stehenden Klavier mit ihrem etwas über 30-minütigen neuen Stück Après un rêve. Dabei handelt es sich um eine Art Toccata über den Grundton „D“. Das Klavier, an manchen Stellen höchst effektiv präpariert wird zu einem Klangorchester (mit einer per Fußpedal integrierten Mini-Bassdrum), die sich fast komplett über einem gepulsten rhythmischen Grundteppich langsam von einer akustischen Szene zur nächsten bewegt.
Das klingt in bestimmten einfachen harmonischen Fortschreitungen zart, dann wieder, in extremen Registern, spitz. Großes Vergnügen bereitet das, schon ob der kecken Grundgrooves, aber eben auch wegen der Farbigkeit, die diesem Instrument, gelegentlich auch mit Schlegeln, entlockt wird. Intim das alles und zugleich doch expressiv. Tückisch gut!
Das Gute, das so einfach sein kann. Das Simple kann doch wirklich einen komplexen Klangzauber entfachen. Die Mittel dazu sind ökonomisch, die Ausführung ist virtuos. Klasse.
Präparation des gesprochenen Wortes: Ambrose Akinmusire mit Origami Harvest
Nach kurzer Pause, es wird ein Triebwerk von Musik gestartet. Der Trompeter Ambrose Akinmusire, der hier auch mal ein Minikeyboard bedient, zusammen mit einem Keyboarder, Schlagzeuger, einem Streichquartett (!) und vor allem einem Singsprecher Koyaki. Vom ersten Moment an brennen die Musikerinnen einen druckvollen und irren Soundkomplex ab und erzeugen enorme kinetische Energie. Alles wirkt zunächst flexibel, die Sprach- und Gesangsperformance von Koyaki ist mitreißend-virtuos. Es könnte das alles prima sein.
Wieso könnte? In der über einstündigen Performance des Ensembles gab es gewissermaßen kompositorisch, handwerkliche Probleme. Da ist der Mann an den Drums (Justin Brown) beteiligt. Zunächst stattet er die Stücke noch mit hoher elastischer Qualität aus, darf auch solistisch aufhorchen lassen. Später erdrückt er mit seinem Drumset immer wieder den Gesamtklang wie mit einer metallischen Decke. Da sind die Streicher (Mivos Quartett) zu nennen, die eigentlich einen aparten Klanggegensatz bilden könnten, aber denen eine wunderlich, häufig harmonisch homophon oder rhythmisch repetierend geführte Musik in die Instrumente komponiert wurde, deren handwerkliche Qualität einfach enttäuscht und die häufig zwischen den Bandpassagen dann auch noch blank liegt und wie eine schlechte Komponierarbeit (Avantgarde-Kitsch) aus den 60er Jahren klingt.
Da ist das Fehlen eines echten Basses zu bemängeln, der den Stücken den nötigen Schub verleihen könnte, die ein Keyboarder wirklich, nur im Nebenberuf hier, nicht erfüllen kann. Das ist einfach schade. Und Akinmusire? Spielt, was er spielen kann, es klingt aber nicht immer so, wie man mutmaßen darf, was er gewollt haben könnte. Die Streicherinterludien gerieten zudem so elend lang, dass man hoffen musste, wann startet die nächste Performance von Koyaki, der übrigens sogar voller Güte einmal schon lächeln konnte. Hätte, hätte … defizitär präpariert.
Präparation des Ornette Coleman: hr-Bigband feat. Joachim Kühn & Michel Portal mit Melodic Ornette
Den Abschluss bildete das Ornette-Coleman-Projekt von Joachim Kühn. Er habe, sagt der Ansager, Zugriff auf ca. 160 noch unbekannte Stücke von Ornette Coleman. Die rückt er jetzt ein Stück weit heraus. Da ist auf der einen Seite die hr-Bigband (Leitung: Jim McNeely) und auf der anderen, aber mehr oder minder inkludiert, ein Solistenquartett mit Kühn am Klavier, Michel Portal an Klarinetten, François Moutin am Bass und Joey Baron am Schlagzeug. Es war einer der besseren BigBand-Auftritte, die traditionell beim Berliner Jazzfest zum Programm gehören. Das lag vor allem an der doch hergestellten Komplexität der Arrangements der nach Postbop klingenden Grundsubstanz der Stücke Colemans. Man vermied das einfache Rezept, nachdem man mit wuchtigen Bläsersets jeden und jede einfangen kann. Eine Art fliegender Klangzirkus entsteht, schon der Beginn mit seiner Fugato-Idee deutet an: Einfach überrumpeln kraft Klangwellen will man nicht!
Es bleibt einfach komplex und damit auch herausfordernd genug für die BigBand, der Mc Neely und Joachim Kühn die Arrangements bauten. Eingebettet darin dann die Passagen des Solisten-Quartetts, die über jede Kritik sich erhaben zeigen. Die Soli sind fein abgezirkelt, kräftig beim Bass-Solo oder wie bei Kühn auch mal zärtlich zurückgenommen. Virtuos bei Portal, elastisch bei Joey Baron. Unvermeidlich allerdings auch hier: Das trägt nicht eine Stunde lang mit gleicher Intensität. Die Bigband ist hier zwar gerne ein musikalischer Tiger mit arrangierten Kunststücken. Aber eine Dauervirtuosität ist auch nur schwer steigerbar und führt zu Ermüdungserscheinungen.
Fazit
Das Leben ist schwer. Musik macht Geräusch. Gewolltes und Realisiertes kann deutlich voneinander abweichen. Nachzuhören und zu sehen auf ARTE in Concert.
Wenn ich das lese, waren meine Frau und ich wohl im falschen Konzert. Der Beitrag der von uns wegen ihrer White Desert Band durchaus geschätzten Eve Risser wareine Nullnummer, langweiliger gehts nicht. Das sahen andere übrigens auch so. Da ist man bei Trifonov – kennen Sie den überhaupt? – schon weitaus besser aufgehoben. Die beiden anderen musikalischen Beiträge waren abweichend von Ihrem Rumgemäkel sehr gut. Fazit: Wir können nicht im gleichen Konzert gewesen sein. Beste Grüße
Spielt, was er spielen kann, es klingt aber nicht immer so, wie man mutmaßen darf, was er gewollt haben könnte. Haha, großartig.