Später Erfolg für eine Vergessene   

Jazz. Bei einem Berliner Verlag ist ein Album mit 18 unveröffentlichten Songs der 1999 verstorbenen Jazzsängerin Inge Brandenburg erschienen    

Berlin/München. Zwanzig Jahre ist es her, dass in München die Sängerin Inge Brandenburg gestorben ist. Verarmt und fast vergessen. Trio-11-Pianist Walter Lang hatte sie nur wenige Jahre zuvor aufgestöbert und einige Auftritte für sie arrangiert, bei denen er sie begleitete. Für ein richtiges Comeback hat es aber nicht mehr gereicht. Heuer wäre die noch immer von vielen Kritikern und Fans als „beste Jazzsängerin Deutschlands“ geschätzte und verehrte Brandenburg zudem 90 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass haben der Berliner Musiker und Produzent Patrick Römer und der Filmemacher Marc Boettcher ein Album mit bisher unveröffentlichten Aufnahmen der First Lady des deutschen Jazz herausgegeben.

„I Love Jazz“ enthält  Aufnahmen, die zwischen 1959 und 1971 mit bekannten Orchestern von damals, hauptsächlich dem von Erwin Lehn, entstanden sind. Vertreten sind auch Musiker wie Klaus Doldinger, der unvergessene Paul Kuhn und selbst der Freigeist Wolfgang Dauner, der für sie die Ballade „Like A Straw“ geschrieben hat. Mit ihm und dem späteren Bigbandleiter Peter Herbolzheimer hat Brandenburg 1971 ihre letzten Studioaufnahmen gemacht. Dabei zeigte sie sich auch als smarte Textdichterin. Schon früh in ihrer wechselvollen Karriere hat sie Jazztitel auf Deutsch gesungen und dazu die Lyrics verfasst – ziemlich revolutionär für die Nachkriegszeit, als der Jazz noch arg unter dem verqueren Negermusik-Image stand und es schwer hatte  Anschluss an neue künstlerische und stilistische Entwicklungen zu finden. Der Jazzwalzer „Das Riesenrad“, komponiert von Dauner und eingespielt mit dem Südfunk-Tanzorchester, kann als anspruchsvoller herrlich beschwingter Song deutlich machen, welch tolles Niveau die kommerzielle Musik mit solchen Musikern und einer derart umwerfenden Sängerin, wie Brandenburg eine war, haben konnte.

Das Cover des neu erschienenen Albums „I Love Jazz“.

Neben eigens arrangierten Jazznummern, darunter eine tief unter die Haut gehende Version von „Round Midnight“ mit dem Michael Naura Quartett und das klassisch arrangierte „Stella By Starlight“, umfasst das Repertoire der erstklassig remasterten Aufnahmen auch Chansons, wunderbare Bluessongs und Musicaltitel, sowie Schlager. Diese ungewöhnliche stilistische Breite, die auf ähnliche Weise auch Brandenburgs Kollegin Caterina Valente praktizierte, war allerdings nicht alleine auf ihre vokalen Fähigkeiten und Vielseitigkeit zurückzuführen. Die Plattenfirmen, bei denen sie damals unter Vertrag stand, wollten sie als Schlagersängerin vermarkten und drängten die hochtalentierte Leipzigerin immer wieder zu musikalisch blödsinnigen Kompromissen, unter denen sie sehr litt. Dennoch gelang es ihr immer wieder, selbst einfachen Schnulzen einen fein swingenden Sexappeal zu verpassen, der sie bis heute meilenweit aus dem Gros an Sängerinnen heraushebt. Anfänglich mit eher epigonenhafter Intonation, entwickelt Brandenburg mit ihrem dunklen rauchigen Timbre eine eigene Ausdrucksweise, die schlicht fasziniert und ihr von einer amerikanischen Kulturzeitschrift einen Vergleich mit Billie Holiday brachte.

Nach dem enormen Erfolg von Boettchers Dokumentarfilm „Sing! Inge, sing!“, der auch im Bayerischen Fernsehen zu sehen war, und der parallel erschienenen erfolgreichen CD, ist das Album die zweite Veröffentlichung mit Platzierungen in verschiedenen Charts und Verkaufslisten. An dem posthumen Erfolg hat auch der frühere Leiter des in Regensburg ansässigen Bayerischen Jazzinstituts, Richard Wiedamann, einen Anteil. Er war es, der aufgrund eines Hinweises einen Teil des Nachlasses von Inge Brandenburg vor der Vernichtung in der Müllverbrennung retten und damit das Bildarchiv des Instituts aufstocken konnte. Daraus hat der Produzent und Filmemacher Boettcher auch Material für seine Filmdokumentation und eine Biografie über die Sängerin bezogen. Beim Jazzweekend 2017 stellte er zusammen mit der Sängerin Anne Czichowsky Buch und Album beim Jazzweekend im Degginger vor.

 

Info: Inge Brandenburg, „I Love Jazz“, Herausgegeben und produziert von Marc Boettcher
2019 Unisono-Records (Patrick Römer) im Vertrieb der EDEL

Inge Brandenburg (voc) – u. a. mit den Orchestern Erwin Lehn, Kurt Edelhagen, Werner Müller und Peter Herbolzheimer, den Musikern Michael Naura, Paul Kuhn und Klaus Doldinger in Kooperation mit dem SWR, HR und dem RBB, mit den Arrangeuren Jerry van Rooyen, Helmut Kirchgässner, Heinrich Rietmüller und Joki Freund vom Albert Mangelsdorff Quintett. 

(Foto: Michael Scheiner)

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