Ein komplettes Studioalbum von Miles Davis posthum veröffentlicht, so die Werbetrommel für die gerade bei Warner Bros./Rhino erschienene Aufnahme „Rubberband“. Fake news, fake music – wieviel Miles steckt wirklich darin?
Zum Hintergrund: Nach 30 Jahren verließ Miles Davis Columbia Records und schloss Mitte der achtziger Jahre einen Plattendeal mit dem Label Warner Bros. ab. Dieser Wechsel sorgte seinerzeit in der Szene für einigen Wirbel und man war natürlich gespannt darauf, ob und wie Miles Davis sich dort weiter entwickeln würde. Ab September 1985 gab es dann erste Sessions in unterschiedlichen Besetzungen. Die auf „Rubberband“ veröffentlichten Aufnahmen stammen in erster Linie von diversen Sitzungen zwischen dem 17.Oktober 1985 und Februar/März 1986 aus den Ameraycan-Studios in Los Angeles, wobei viele Stücke dieser Jams ohne Trompete und zum Teil auch ohne Miles selbst stattfanden. Der einzige verbriefte Titel war bis dato das Stück „Rubberband“ selbst, eingespielt am 17.Oktober 1985, das von Warner seinerzeit aber nicht veröffentlicht wurde (vgl. dazu Jan Lohmann: Miles Davis – The Discography 1945 – 1991). Letztlich hat sich Tommy LiPuma, der Miles zu Warner holte, gegen Randy Halls „Rubberband“ Aufnahmen durchgesetzt. „Tutu“ war das erste offizielle WB Album – der Rest ist Geschichte, wobei „Tutu“ nach wie vor als eines der stimmigsten Miles Alben der achtziger Jahre gilt und gleichzeitig ein erfolgreicher Einstieg für ihn bei Warner war.
Aber zurück zur vorliegenden Aufnahme: Das eigentliche Titelstück „Rubberband“ wurde bereits zum Record Store Day 2018 in einer „Original Version“ auf Vinyl veröffentlicht, kombiniert mit „Rubberband of Life“ in drei (!) Versionen als Radio Edit., einer Instrumental Version sowie einer weiteren Variante feat. Ledisi. Der Sound bei „Rubberband Of Life“ klingt wie ein Gilles Peterson Talking Loud-Mix aus Brand New Heavies und Young Disciples. Vokalparts und heutige Soundeffekte wurden nachträglich hinzugefügt, es klingt also nicht wirklich authentisch nach Miles Davis, sondern eben wie ein Remix. Im weiteren Verlauf des Albums hört man weitere Acid Jazz Sounds, Smooth Latin, Funk, Calypso – alles editiert, aufpoliert, überarbeitet und neu abgemischt, Autotune Effekte, oder auch Miles zum Teil soundtechnisch veränderte Stimme. Klingt zuerst einmal gruselig, aber das alles ist noch kein eigentliches K.o.-Kriterium, hat Miles z.B. selbst die legendären „Bitches Brew“ Aufnahmen exzessiv nachbearbeitet.
Bei „Rubberband“ fehlt aber schlussendlich ein roter Faden, die musikalische Geschlossenheit, ein stimmiges Gesamtkonzept. Was sich die beteiligten Produzenten/Macher Randy Hall, Zane Giles und Vince Wilburn Jr. z.B. bei dem Track „Paradise“ gedacht haben bleibt ein Rätsel. Das Stück klingt wie eine dünnschnulzige Bacardifeeling Parodie. Zu statisch sind sowohl hier als auch bei dem einen oder anderen Stück des Albums Trompetensoli editiert, mit wenig Fantasie und ohne wirklich Drive. Lalah Hathaways „So Emotional“ und auch Randy Halls Gesang auf „I Love What We Make Together“ klingen irgendwie ein bisschen „lala“, durchaus groovig, aber durch die soundtechnische Nachbearbeitung auch hier wieder einfach zu glatt. Auf „Rubberband“ ist generell vieles zu sauber, konstruiert, ohne Ecken und Kanten, wie man es von Miles selbst kennt. Da helfen auch keine Marketing Stories, dass eigentlich Al Jarreau oder Chaka Khan mit dabei sein sollten und auch Bruno Mars für Vokalparts angefragt wurde. Aber das Album bietet durchaus interessante und spannende Momente. Der Titel „Maze“ (vom September 1985 mit Bob Berg, Mike Stern, Robert Irving III, Angus Thomas, Steve Thornton, Marilyn Mazur und Vince Wilburn Jr. – davon soll übrigens noch weiteres unveröffentlichtes Studio-Material existieren!!!), sticht heraus und wirkt musikalisch am geschlossensten, gehört streng gesehen als einziges Stück aber auch nicht zur eigentlichen „Rubberband-Session“. Das folgende „Carnival Time“ geht in Ordnung und „Echoes in Time /The Wrinkle“ spiegeln zusammen mit „Maze“ am ehesten einen gelungenen Spirit der Achtziger aus den Rubberband-Sessions mit Adam Holzman, Randy Hall, Zane Giles Steve Reid, Glen Burris und Miles Neffe Vince Wilburn Jr. wider.
„Rubberband“ ist nicht die erste posthume Veröffentlichung von Miles Davis: „Doo-Bop“ mit Easy Mo Bee war ähnlich zwiespältig von der Authentizität wie es nun, trotz einiger ordentlichen Nummern, auch „Rubberband“ ist. Es wird definitiv nicht die letzte posthume Miles Davis Veröffentlichung bleiben. Vielleicht schlummern z.B. ja doch noch geniale Aufnahmen von ihm zusammen mit Prince in irgendwelchen Safes (sein seltsamer Auftritt beim 87er Silvesterkonzert oder der Track „Can I Play With You“ konnten bis dato nicht wirklich überzeugen). Des Weiteren sind aktuell Gespräche über eine Veröffentlichung der Session mit Larry Coryell und Masabumi Kikuchi aus dem Jahr 1978 in Gange. Es wird im Laufe der Zeit mit Sicherheit auch noch weiteres Material auftauchen und gehoben werden. Bleibt zu hoffen, dass darunter irgendwann Aufnahmen sein werden vom Format á la Coltranes „Both Directions At Once“ oder Monks „Les Liaisons Dangereuses 1960“ … bis dahin kann man bei aller Kritik mit „Rubberband“ erst einmal getrost Vorlieb nehmen. Das Album wird für Kontroversen sorgen – richtig verteufeln sollte man es aber nicht.
(Foto: Miles Davis in Hamburg 1986. Thomas J. Krebs)
Sehr schöne Zusammenfassung – Miles Davis ist ein Phänomen und der Jazzmarkt wird immer wieder Coltrane oder Davis-Entdeckungen vermarkten. Problem bei Miles ist, das man ihn oft auf ein paar Trompetentöne reduziert in alles reinbauen kann (und das auch macht). Das ist dann aber kein Miles, denn natürlich sind der für damalige Verhältnisse meist neuartige Gesamtsound und auch die Stellung in der Zeit zu beachten. Das Re-freshen gelingt mäßig, aber man freut sich über Rubberband wie über den Biopic-Soundtrack – es gibt Schlechteres, vor allem die xte Einspielung der üblichen Standards oder gar die demnächst drohenden Weihnachtsalben….