Ein schöner Ort, erstens. Ein schönes Festival, zweitens. Und das bedingt sich gegenseitig, denn das Gut Sonnenhausen im Ebersberger Hinterland bei Glonn und dessen Betreiberfamilie Schweisfurth hat kein Interesse daran, ein weiteres austauschbares Musikevent zu veranstalten, nur um damit ein wenig Glanz in die eigenen Mauern zu holen. Es geht eher darum, das eigene Profil als lokalen Knotenpunkt von Kultur, Kulinarik und Erholung zu schärfen, und so legt das Alpenspektakel Wert darauf, einerseits den trachtkostümierten Mainstream außen vor zu lassen, auf der anderen Seite das Moment der Avantgarde nicht überzubetonen. Das klingt kompliziert, ist aber vor allem Aufgabe einer geschickten künstlerischen Leitung, die wie Stefanie Boltz um die Feinheiten der Anspruchshaltungen weiß und sie entsprechend in die Planung integriert. Nachdem sich die ersten drei Ausgaben des Festivals auf der kulinarischen Seite vor allem dem Fleisch widmeten, waren diesmal Brot und Butter an der Reihe, die in verschiedenen Workshops zur Zubereitung dafür sorgten, dass die Zuhörer zufrieden gesättigt zu den Konzerten pilgern konnten. Dort wiederum erwarteten sie sehr unterschiedliche Näherungen an die Klangsprache der Alpenregion, die vom sphärischen Experimentieren mit folkloristisch improvisierenden Texturen bis hin zu berauschend virtuosem Schmäh mit Hintersinn reichten.
So forderte etwa das Duo RaaDie vor allem den Trompeter Lorenz Raab heraus. Als Partner des E-Zither-Spielers Christoph Dienz, der mit seinem Instrument und zusätzlicher elektronischer Unterstützung durch Loops die Rhythmen und Stimmungen vorgab, füllte er den melodischen und improvisierenden Part der Musik mit einer Mischung aus gebunden spielender Gelassenheit und punktuellen, sich aufbäumenden Energiespitzen. Der Akkordeonist Mario Batkovic wiederum ist ein Freund des Pathos‘ und darüber hinaus ein Purist seines Instruments. Er betonte in seinem Solo-Konzert das Orgelhafte, die Wucht und Dynamikvielfalt, hatte stilistisch einen Hang zu Schichtungen, die auch der klassische Minimalismus pflegt, und zu flirrenden, die Filme im Kopf anregenden Stimmungen. Das Quartett Buffzack wiederum knüpfte mit drei Bläsern und Schlagzeug einerseits an die Straßenkultur der Brass Bands an, hatte darüber hinaus aber profunde Wurzeln im zeitgenössisch improvisierenden Jazz und dessen Münchner, dem Techno-Tanzbeat verpflichteten Spielart. Folksmilch schließlich sind ein sowohl gedanklich, wie auch instrumental verblüffend virtuoses Trio, mit dem der Geiger Klemens Bittmann, der Akkordeonist Christian Bakanic und der Kontrabassist Eddie Luis Zeiten, Stile, Traditionen fusionieren. Vieles wurde integriert, Mozart und Gabalier, EAV und Neue Musik, Balkan und Kammermusik und zu einem Sammelsurium der effektvoll aufeinanderprallenden Impulse verknüpft, dessen musikantische Energie das Publikum am Sonntagmittag zu stehenden Ovation hinriss. Und so schaffte es das Alpenspektakel mit seiner vierten Ausgabe, die Agrar-Bohème ein Wochenende lang mit so viel überregionalem musikalischem Esprit zu versorgen, dass aus dem Landgut ein Kulturgut wurde.
Text & Fotos: Ralf Dombrowski