„Den ‚Magic Moment‘ kenne ich eher nicht, ich muss mich bewusst hinsetzen.“ Wenn man den Gitarristen Helmut Nieberle danach fragt, wie er neue Stücke schreibt, klingt die Antwort recht lapidar: „Ein melodischer Gedanke kann schon mal ein Einfall sein, aber der Rest ist einfach Arbeit.“
Dass er das Handwerk des Komponierens und Arrangierens unter anderem von einem erfahrenen Fachmann wie dem Regensburger Komponisten Hans Huber gelernt hat, kommt ihm dabei zugute: „Wenn man eine zweite Stimme komponiert, kommt man über diese oft auf eine neue melodische Idee.“ Und einen weiteren Trick, der aus seiner Arbeit fürs Theater erwachsen ist, verrät Nieberle: „Ich schreibe oft Dummy-Texte, die ich zugrunde lege, dann aber nicht veröffentliche. So einen Text spreche ich laut, rhythmisch, und so entsteht oft eine Melodie.“
Was dabei entsteht, ist verblüffend: Viele der Songs, die Nieberle auf seiner neuen CD „Swing Is Here To Stay“ versammelt hat, kommen einem so vor, als würde man sie schon immer kennen. Dabei sind diese Kompositionen erst in den letzten drei Jahren entstanden. Dass wir sie nun in einer wunderbar ausbalancierten Mischung aus vertraut wirkenden Jazz-Stücken, Gipsy-Swing-Nummern, Musette-Walzern und brasilianischen „Choros“ genießen können, verdanken wir zum einen Nieberles Gespür, sich so in diese verschiedenen Stilistiken einzufühlen, dass sie wie Genre-„Standards“ klingen. Zum anderen haben ihn seine Mitspieler Paulo Morello (Gitarre) und Sven Faller (Bass) animiert, diese bei Konzerten bisweilen eingestreuten Stücke einmal am Stück aufzunehmen.
Das geschah dann, pointiert unterstützt von Drummer Scotty Gottwald, in Sven Fallers Studio in Schwandorf. „Der macht das ja virtuos“, so Helmut Nieberle bewundernd im Gespräch: „Bass spielen, quasi nebenbei alles richtig einstellen, aufnehmen… unglaublich!“ Ganz ohne Stress sei die Session verlaufen, „total relaxed“, und diese Entspanntheit merkt man dem Album durchaus positiv an.
Kurze, knackige Soli
Sechzehn Stücke auf gut fünfzig Minuten Gesamtlänge – das bedeutet: Die fein ausgesponnenen Themen des Bandleaders werden in kurzen, knackigen Soli weitergedacht. Hier wie im Ensemblesound ergänzen sich Nieberles ausgefeiltes, melodiebetontes Spiel auf seinen siebensaitigen Instrumenten und Morellos oft stärker vorwärts drängender Zugriff bestens. Aber auch beim gemeinsamen Phrasieren, etwa der in „Swing For Two“ in keckem Terzabstand durchlaufenden Linie, zeigt sich die Selbstverständlichkeit des Zusammenspiels.
Der brasilienerfahrene, ursprünglich aus Burglengenfeld stammende Paulo Morello hat mit „Claudia’s Delight“ nicht nur einen eigenen schönen Song beigesteuert, er hat seinen Kollegen vor einiger Zeit auch auf den Geschmack der brasilianischen „Choro“-Tradition gebracht: „Das passte dann auch perfekt zur siebensaitigen Gitarre“, erzählt Nieberle – „ein gefundenes Fressen!“
Köstlich ist auch so mancher Songtitel auf dieser CD: Bei einer neu komponierten Bebop-Melodie zum Standard „Pennies From Heaven“ – neben „Split Up The Blues“ die einzige Nummer über eine bekannte Akkordfolge – kam Nieberle nach einiger Zeit die Eingebung: „Bitcoins From Hell“…
Siebensaitiges Begleiten
Nochmal zurück zum Instrument: Helmut Nieberle spielt seit Mitte der 1980er Jahre siebensaitig. Besonders für das Duo mit Helmut Kagerer boten sich die erweiterten Möglichkeiten mit der zusätzlichen tiefen Saite an. Dass dies in der brasilianischen Musik schon lange eine Tradition hat, wusste Nieberle damals noch nicht. Selbstredend spielt er auch auf seiner zweiten neuen, gemeinsam mit der New Yorker Sängerin Jeanne Gies aufgenommenen CD eine Siebensaitige. „Gesang kann man auf der Sechssaitigen ja gar nicht begleiten!“, meint Nieberle lachend, und wenn man hört, wie selbstverständlich er Jeanne Gies bei wunderbaren Standards wie „I‘ll be seeing you“, „September Song“ oder „Moonglow“ einen aus harmonischen und melodischen Details reich gewirkten Teppich auslegt, möchte man ihm fast zustimmen.
Bei der Songauswahl am heimischen Esstisch kamen aber auch ganz andere gemeinsame Vorlieben der Beiden zu Tage: die „Schnulzen“ eines in Jazzkreisen eher unbeachteten Perry Como etwa. „Obwohl der so schön singen kann!“, schwärmt Nieberle: „Der hatte eine Stimme, da fällt einem nix mehr ein, ohne jede Anstrengung…“ Die überladenen, streicherumtosten Arrangements schätzt er weniger: „Deswegen ist es schön, dass es diese Stücke jetzt einmal ‚pur‘ gibt.“
Pur gibt es somit also Perlen wie „It‘s impossible“ oder „If“. Aus „If“ stammt auch der CD-Titel: „Da kommt diese herrliche Passage vor“, begründet Nieberle die Wahl: „‚If I could be two places at one time, I‘d be with you, tomorrow and today, beside you all the way‘. Da friert‘s mich, wenn ich so etwas höre.“ Wenn man Jeanne Gies mit dem Song hört, versteht man, was Nieberle meint. Von der Sängerin nach einem ehrlichen Rat gefragt, wie sie dieses Repertoire in der intimen Duo-Besetzung angehen solle, brachte er es so auf den Punkt: „Don’t oversing – erzähle mir die Geschichte, erzähle mir das, was der Song sagt.“ „Okay!“, meinte Jeanne Gies und beherzigte es auf‘s Schönste.
Beitragsbild: Juan Martin Koch
Helmut Nieberle – „Swing Is Here To Stay“. Mit Paulo Morello (Gitarre), Sven Faller (Bass), Scotty Gottwald (Schlagzeug). Bobtale Records BT0122019
Jeanne Gies und Helmut Nieberle: Tomorrow And Today. Bobtale Records BT042019