Diese Freiluftkonzertromantik war nichts für „Weicheier“: Ohne Vorwarnung hatte der Himmel seine Schleusen geöffnete. Menschen rückten vor der Kulisse der Burg Linn unter einem großen Zeltdach bzw. einer Art Fallschirm zusammen. Leidenschaft für echte Musik ist eben stärker als schnöde Wetterbedingungen – manchmal wächst sie sogar, wenn die äußeren Bedingungen „feindlich“ sind!
Viele Ehrenamtliche vom Jazzclub Krefeld stemmen jedes Jahr aufs Neue das Drumherum bei diesem Festival, das zum großen, überregional wahrgenommenen Aushängeschild des Vereins geworden ist. Der künstlerische Leiter Florian Funke stellt bei der Programmierung der drei Konzerte eine bewährte Dramaturgie der Steigerung herstellen kann. Mehr als drei Auftritte an einem langen Abend braucht es nicht. Das fördert das konzentrierte Eintauchen und ist eine kluge Absage an das oberflächliche „Hineinzappen“ wie bei so manchen Großfestivals mit ihren Mammutprogrammen und Parallelveranstaltungen.
Der Opener in Krefeld lenkt traditionsgemäß den Fokus auf Bands und Musiker aus NRW. Den Spaß an der gemeinsamen Sache pflegte an diesem Abend die Band „Cheop“. Tim Isfort, der sonst das Moers-Festival kuratiert, spielt hier den Bass und schon ging alles auf der Festivalwiese in einer gut abgehangenen Fusionfunk-Mischung entspannt und gut zum eingrooven zur Sache. Aber es wären nicht derart erfahrene Musiker, wenn nicht auch tiefer aus der Trickkiste geschöpft würde: Zunehmend bürsten diese Spieler die Tonalität gegen den Strich. Keyboarder Manfred Heinen bedient sich klanglicher Effekte mit viel Humor. Trompeter Markus Türk jagt sein Horn durch die Elektronik, was an elektrifizierte Miles-Davis-Großtaten erinnert – ein guter wirkungsvoller Opener für dieses Ereignis. Nicht mehr, aber auch nicht weniger!
Gerade der mittlere Programmpunkt entfaltet in Krefeld seine ganz besondere Aura. Der Tag geht. Die blaue Stunde kommt. Die farbigen Bühnenscheinwerfer nehmen ihre Arbeit auf. Das kommt dem polnischen, heute in New York lebenden Geiger Adam Baldych zugute, dessen Begegnung mit dem Publikum in Krefeld von beseelter, hochemotionaler Musikalität durchdrungen ist. Was zu Anfang noch wie etwas gefällige Geschichtenerzählerei wirkt, steigert sich im folgenden in hypnotische Zustände hinein. Was Baldych auf seinen Violinseiten meist in sehr sphärisch-vibratoarmem Tonfall zelebriert, schöpft aus melancholischen Tiefen, funkelt und schillert aufregend, ohne dass es je pathetisch wirken würde. Das steigert sich in so manch atemberaubend-virtuosen Ausbruch hinein, bevor wieder balladeske Melancholie die heraufziehende Nacht begleitet. Und bei allem existiert eine traumwandlerische Augenhöhe mit seiner Band, die ausschließlich aus polnischen Mitmusikern besteht.
Für Michael Wollny war es das dritte Gastspiel in Krefeld. Bescheiden wirkt, wie einer der gefragtesten Tastenkünstler im zeitgenössischen Jazz das Publikum anspricht, was allein schon wie eine lässige Untertreibung wirkt angesichts des vorhandenen Potenzials bei diesem charismatischen Topact, bei dem es noch so sehr regnen konnte. Zusammen mit Eric Schaefer am Schlagzeug und Bassist Christian Weber wird das Publikum im folgendenregelrecht hypnotisiert. Es anders machen als erwartet, woanders hinführen, als jeder denken mag, das scheint die DNA für diesen Abend zu sein. Ganz unschuldig, kammermusikalisch und melodisch beginnt dieses Konzert. Schnell passiert mehr. Viel mehr! Freitonale Improvisationen. Lyrische Klangbäder. Tonartenwechsel. Mächtige Jazzimprovisationen, die in furiosen Crescendi noch die Mauern der Burg Linn erbeben lassen könnten und sich gierig jedes erdenkliche Material einverleiben. Wollny und seine beiden faszinierend reaktionssschnellen Mitstreiter ziehen die gebannte Hörerschaft in einen mächtigen Sog, aber auch in schillernde Labyrinthe hinein. Aber ohne sie dort allein zu lassen, denn dafür ist das gespielte viel zu direkt und zu bezwingend. Derart intensiv Musik machen kann nur, wer Bilder im Kopf hat. Diese werden bei Wollny durch die klassische Moderne etwa eines Paul Hindemith oder von Rennaissance-Chorälen von Guillaume de Machaut generiert. Ein anderes Lieblings-Sujet darf nicht fehlen: Ohne die Filmmusikkompositionen von Angelo Badalamenti wäre ein David Lynch Film und eben auch ein Michael-Wollny-Konzert nicht das, was es gerade hier in Krefeld ist – wo gerade schon die ersten Wasserkaskaden vorne auf den Bühnenrand klatschen!
Text und Fotos: Stefan Pieper