Vom 7. bis 9. Juni 2019 fand im österreichischen Diersbach das 34. Inntöne Jazzfestival statt. Eigentlich, meinte Paul Zauner, müssten sie aufhören, Werbung zu machen. Denn das Festival ist an seiner Auslastungsgrenze. Im 34. Jahr ihres Bestehens lockten die Inntöne rund 3.000 Jazzfans auf den Hof des Posaunisten, Impresarios und Landwirts, und forderten das Team heraus, möglichst reibungslos dafür zu sorgen, dass alle glücklich sind, Musiker und Publikum, Anwohner und Journalisten. Wie immer gab es die Momente, wo man Schweißperlen auf der Stirn des Festivalleiters entdecken konnte, was bei einem derart tiefentspannenden Menschen ein Zeichen dafür ist, dass irgendwo gerade der Bär steppt. Aber auch wie immer haben alle zusammen geholfen, dass am Ende ein Wochenende heraus kam, von dem mehrere Musiker auf der Bühne betonten, es sei überhaupt das schönste Jazzfestival der Welt.
Tatsächlich gelang es den Inntönen, eine raffinierte Mischung aus großen Namen und Newcomern, schrägen Vögeln und vergessen geglaubten Koryphäen in den Sauwald im Passauer Hinterland zu locken. Abdullah Ibrahim zum Beispiel verneigte sich mit kammermusikalisch reduktionsklarer Tonsprache vor der Kraft des Spirituellen, tief inspiriert und voll versöhnlicher Kraft. Der Posaunist Ray Anderson dokumentierte im hübsch heftigen Quartett unter anderem mit Trommelberserker Han Bennink am Schlagzeug, dass das Feuer des freien Spiels noch immer lodert und mit einem Hauch von Ironie präsentiert auch beim Zuhören zum Schmunzeln verführt. Es gab jungen, groovigen Urban Jazz mit dem Trio des britischen Tubisten Theon Cross, der Funk-Jazz-Besetzung des Keyboarders Joe Armon-Jones oder der Orgelorgie des amerikanischen Hammond-Spezialisten Delvon Lamarr. Und es kam immer wieder Unerwartetes, ein Tabla-Solo-Konzert zum Beispiel, wo Avibhav Verma anhand von Variationen über verschiedene Backing Tracks dokumentierte, wie sich rhythmische Strukturen kommentierend und aufeinander aufbauend entwickeln können. Das Ensemble Supersonus brachte Harfen und renaissancehaft-folkloristische Klänge ins Spiel, einschließlich eines im Jazz wahrlich raren, ausgedehnten Maultrommel-Solos. Es gab knarzende Tenöre, die mit dem Saxophonisten Gavino Murgia anreisten, Österreicher, die sich ausführlich vor Thelonious Monk verneigten oder auch noch ein weiteres Piano-Solo-Programm von Brian Marsella, der mal eben den Flügel an die Ausdrucksgrenzen brachte.
Wunderbar waren auch die feinen Momente der Duos etwa des musikantisch betörenden Dialogs des Trompeters Stéphane Belmondo mit dem famos die Picking-Traditions in die Gegenwart übertragenden Gitarristen Sylvain Luc. Oder das brasilianisch-wienerische Zwiegespräch von Gitarrist Toninho Horta und dem Geiger Rudi Berger, dem man die Freude am gemeinsamen Gestalten bei jedem Ton buchstäblich ansah. Vor allem aber gab es Sternstunden wie das Konzert des Florian Weber Quartetts. »Ich glaube«, meinte der Pianist auf der Bühne, »Wir haben noch nie mit so viel Energie gespielt wie heute. Das muss an den Vibes hier liegen«, fügte er hinzu und übergab an seine Kollegen Ralph Alessi, Michel Benita und Nasheet Waits, die wie eine Woge der modern jazzenden Intensität den Stadel fluteten. Man darf es also eigentlich nicht weitersagen, dass das Inntöne Festival zu den Herzkammern des europäischen Jazzkörpers gehört. Nicht dass diese einmalige Mischung aus sublimiertem Woodstock-Gefühl, rustikaler Unmittelbarkeit und musikalischer Finesse eines Tages so bekannt wird, dass man die umliegenden Felder sperren muss.
Beitragsbild: Han Bennink beim Inntöne Jazzfestival 2019. Foto: Ralf Dombrowski