Jazzszene kompakt im „Musikleben in Deutschland“

Das Deutsche Musikinformationszentrum (MIZ), eine Einrichtung des Deutschen Musikrats, legt mit seiner aktuellen Publikation „Musikleben in Deutschland“ eine umfassende Dokumentation zu Strukturen und aktuellen Entwicklungen des Musiklebens vor. Darin finden nicht nur umfangreiche Tabellen und Schaubilder mit Daten des MIZ, sondern vor allem fundierte Beiträge der 22 Fachautoren aus Wissenschaft, Kulturpolitik und Musikpraxis mit vielen Hintergrundinformationen Platz.

Mit dem Ziel, das gesamte deutsche Musikleben abzubilden, behandeln die einführenden, allgemeinen Kapitel über musikalische Bildung neben der klassischen Musik auch Popmusik, Jazz und weitere Musikstile. Der Schwerpunkt liegt hier aber natürlich auf der Klassik, die zahlenmäßig den größten Teil der musikalischen Bildung ausmacht. Auch Franz Willnauer geht in seinem Beitrag über Festspiele und Musikfestivals auf den Jazz ein. Beispiele der zahlreichen, auch schon früher gegründeten Jazzfestivals in Westdeutschland sind hier leider nicht angeführt, dafür aber die Besonderheit solcher Veranstaltungen in der DDR. Dort seien in den 1970er und 1980er Jahren viele Festivals als eine Mischung von politischer Vereinnahmung – die DDR versuchte, als Reaktion auf die amerikanische „Jazz Diplomacy“, den Jazz ebenfalls für ihre politische Agenda zu nutzen – und „Schaffung von Freiräumen“ durch populäre Musik entstanden. So etwa die Freiberger Jazztage, das Internationale Dixieland Festival Dresden oder die Leipziger Jazztage.

Hans-Jürgen Linke über Jazz in Deutschland

Spezifischere Informationen werden dann im eigenständigen Kapitel über Jazz nachgeliefert. Hans-Jürgen Linke, freier Autor und Mitglied der Bundeskonferenz Jazz, trägt darin Informationen zu Orten, Akteuren und Entwicklungen der deutschen Jazzszene zusammen. In seiner Einführung berichtet er zunächst von der großen Vielfalt der deutschen Szene und den Besonderheiten der Spielstätten des „hauptsächlich live“ gespielten Jazz. Hier geht er auf Initiativen von Musikern und Veranstaltern ein, beispielsweise das Kölner Jazzhaus, und vergleicht Konzertangebote im städtischen und ländlichen Raum.

Cover des Kompendiums „Musikleben in Deutschland“. Foto: MIZ

Festivals beschreibt Linke als wichtigen Bestandteil der „Jazzöffentlichkeit“, mit einer großen stilistischen Vielfalt. Er kommt hier sowohl auf die Anfänge als auch auf neuere Formate und Konzepte wie das Enjoy Jazz oder den winterjazz köln zu sprechen. In seinem Abriss über die Anfänge des Jazz in Deutschland hebt Linke die Bedeutung der Frankfurter Szene mit legendären Musikern wie Emil und Albert Mangelsdorff, oder den Veranstaltern Horst Lippmann und Fritz Rau hervor. Auch auf die politische Dimension des Jazz im Kalten Krieg und die gemeinsame Entwicklung der Jazzszenen nach der Wende kommt Linke zu sprechen.

Etwas ausführlicher nimmt Linke dann die berufliche Bildung und Nachwuchsförderung speziell für den Jazz nochmal unter die Lupe. Die Anfänge des Jazz als eigenständiger Studiengang und die Entwicklung zu einer Ausbildung auf höchstem Niveau mit Anziehungskraft auch für angehende Studierende aus dem Ausland, stellt er voran. Danach beschreibt er die verschiedenen Ausrichtungen der Studiengänge und Strategien zur besseren Vorbereitung auf das heterogene Berufsleben von Musikschaffenden. Im Bereich der Jugendförderung gibt Linke einen Überblick über die vom  Deutschen Musikrat getragenen Jazz-Förderinstitutionen und die ergänzenden Angebote von verschiedenen anderen Trägern.

Die Arbeitsverhältnisse im Jazzbereich beschreibt Linke als prekär, trotz der guten Ausbildungsmöglichkeiten. Er gibt zudem einen Überblick über die geschrumpfte Bigband-Landschaft und die freie Szene. Zum internationalen Austausch des Jazz stellt er fest, dass Deutschland den Export von eigenem Jazz nicht institutionell fördert – wie etwa die skandinavischen Länder oder Frankreich – und beschreibt und nennt Projekte, die für mehr Präsenz der deutschen Jazz-Künstler/-innen im Ausland sorgen sollen. Die herausragende Rolle des Rundfunks für die Verbreitung des Jazz in der Nachkriegszeit beschreibt Linke sehr ausführlich. Er beleuchtet hier beispielsweise die Entstehung und Entwicklung der Rundfunk-Bigbands und die Rolle der Jazzredaktionen als Produzenten und Vermittler in der Jazzszene.

In einem kurzen Abschnitt fasst Linke die Entstehung und Entwicklung der Jazzforschung und -Archivierung zusammen und nennt wichtige Akteure und Symposien. Ausführlichere Informationen gibt der Autor zur vielfältigen Landschaft der Jazzlabels, den Internetportalen und Zeitschriften widmet er hingegen nur eine kurze Übersicht mit den bekanntesten Vertretern. Am Schluss findet sich eine Übersicht über die Verbände und Netzwerke des Jazz in Deutschland.

Ein kompakter Überblick über Institutionen, Zahlen und Daten findet sich also auch für den Jazz im „Musikleben in Deutschland“. Obwohl die Musikstile streng in einzelne Kapitel von verschiedenen Autoren unterteilt sind, können natürlich auch die Kapitel zur Populären Musik von Peter Wicke und zur Weltmusik von Julio Mendívil interessante Einblicke für Jazz-Schaffende gewähren. Abgesehen von den Beiträgen zur musikalischen Bildung, die vor allem für Pädagogen und angehende Studierende interessant sein dürften, bieten die allgemeinen Kapitel zur Musik im Rundfunk und zur Musikwirtschaft einen guten Überblick – und über Links auch umfangreiche weiterführende Informationen – für Musikschaffende aus allen Stilrichtungen.


Text: Luisa Mergel

Beitragsbild: Coverfoto von „Musikleben in Deutschland“. Foto: MIZ

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