Jazz mit Frühlingsgefühlen – Ein Bericht vom 35. Kemptener Jazzfrühling

Der 35. Kemptener Jazzfrühling begann auf der Freilichtbühne auf dem Rathausplatz wenig frühlingshaft mit Nieselregen und kaltem Wind. Und so blieb das Wetter dann im Wesentlichen auch für die 9 Tage des Festivals. Davon ließ sich allerdings das Publikum beim Eröffnungskonzert mit der Local Vintage Company aus der ungarischen Partnerstadt Sopron nicht verdrießen. Mit Swing und Verve und alten Hits von Cab Calloways „Minnie the Moocher“ über „Bei Mir Bistu Shein“,  „It don’t mean a thing“, „Sing, Sing, Sing“ bis „Rum and Coca Cola“ unterhielt das elfköpfige Ensemble, das seit einem Jahr besteht und hörbar ein Faible für die Andrews Sisters hat, drei Stunden lang prächtig. Ihren Platz nahm danach die Louisiana Funky Butts Brass Band ein, die seit der Eröffnung durch die Innenstadt gezogen war, wo gleichzeitig auf Plätzen und in Lokalen und Geschäften noch fünf andere Bands spielten. So ähnlich beginnt alljährlich der stilistisch und räumlich vielfältige Jazzfrühling, der jeweils vom letzten April- bis zum ersten Mai-Wochenende dauert.

Am Nachmittag zeigte im Allgäu-Gymnasium nach der Schul-Bigband dann die bald 25-jährige Lehrer-Bigband Bayern unter der Leitung von Hugo Siegmeth, was sie so spieltechnisch, arrangiermäßig und kompositorisch drauf hat: eine ganze Menge. Abends im würdigen Haus des Theaters dann wurde das kleine Jubiläum der Jazzreihe des Kleinkunstvereins Klecks groß gefeiert: Marius Neset, mit seinem Quintett bejubelter Höhepunkt des 34. Jazzfrühlings, kam mit der Bayerischen Kammerphilharmonie aus Augsburg wieder, um zum dritten Mal seine Komposition „Viaduct“ aufzuführen. Und diesmal gelang nach zwei Probentagen unter der Stabführung des Londoner Dirigenten Geoffrey Petersen die Verbindung von Jazz- und klassischem Ensemble überzeugend, weil die begeisterten und begeisternden Philharmoniker gewissermaßen den Part eines sechsten Bandmitglieds spielten. Ein Höhepunkt zum Auftakt! Nach diesem und dem als Vorgruppe fungierenden Trio LBT mit einer Kurzfassung des faszinierend minimalistischen Techno-Programms, mit dem sie beim Wettbewerb im gleichen Haus 2018 den 2. Platz belegt hatten, war leider im Kopf kein Raum mehr, um noch einen Abstecher ins Künstlerhaus zu Biboul Darouiche und „Tribal Moon Jam“ zu machen.

Die dritte Band des Eröffnungstages konnte man dafür am Sonntagmorgen beim Musiker-Frühschoppen noch hören: Die elsässische Sängerin Juliette Brousset unterhielt als Moi et les autres swingend mit (Jazz-) Chansons. Am Abend dann unter dem Titel Otis Sandsjö meets Enemy gleich ein zweiter Höhepunkt: Der expressiv-melodische, in Berlin lebende schwedische Tenorsaxophonist bekam für seinen Auftritt gewissermaßen eine Wild Card und lud sich das Londoner Trio Enemy mit Petter Eldh, Kit Downes und James Maddren zur erstmaligen Zusammenarbeit ein. Und auch dieses Experiment gelang nach nur einem Tag Probe überzeugend. Solist und Trio hatten jeweils eigenes Material mitgebracht, das mal zusammen, mal im eigenen Rahmen vorgestellt wurde, sodass die jeweilige Eigenart erkennbar blieb, aber doch eine geschlossene Einheit aus Melodik und Freiheit entstand. So konnte man gleich zwei Festival Entdeckungen auf einmal machen. Und am nächsten Tag eine weitere in der Reihe Jazzperlen in der Stadtsäge an der Iller. Das Quartett Scopes mit Musikern aus Holland, Frankreich, Deutschland und Österreich gefiel mit schönem Melodienfluss, der im Laufe des Abends jedoch etwas zu gefällig gleichförmig ohne Stromschnellen dahin strömte.

An den folgenden Tagen standen unter anderem noch das Daniel Karlsson Trio, Reut Regev’s R*time, die Jazzrausch Bigband, der Jazzfrühling-Wettbewerb und das Jean Luc & Clara Ponty Quartet auf dem Programm.

Text und Fotos: Godehard Lutz
Beitragsbild: Petter Eldh beim 35. Kemptener Jazzfrühling. Foto: Godehard Lutz

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