Japanische Poesie und Free-Eruptionen

Beim Auftritt des Schlagzeugers Eric Schaefer mit „Kyoto mon Amour“ im Leeren Beutel erlebten Zuhörer einen musikalischen Hochgenuß.

Vermutlich hat Doris Dörries wunderbares Filmdrama „Kirschblüten – Hanami“ das hiesige Bild von Japan ebenso stark geprägt, wie Fukushima oder glitzernde Großstadtimpressionen von Tokio. Eindrücke aktueller kultureller und künstlerischer Entwicklungen über das Land der aufgehenden Sonne gelangen meist nur sporadisch in westliche Sphären. Das gilt auch für den Jazz, der eine mindestens ebenso lange Tradition in Japan wie in Europa hat. Nach der Kurzfilmwoche mit  Länderschwerpunkt Japan, setzte auch der Jazzclub im Leeren Beutel einen musikalischen Akzent in Richtung Osten.

Mit seinem letzten Album „Kyoto mon Amour“ und einem fifty-fifty besetzten Quartett knüpft der Schlagzeuger Eric Schaefer ausgesprochen spannende Verbindungen zwischen den Kulturen. Beim Auftritt im Beutel konnte sich eine eher bescheidene Zahl von Zuhörern überzeugen, welche fantastische Musik daraus entstanden ist. Vom berstenden Freejazz über World Music, Blues und kraftvoll pulsierende Rockeinflüsse bis hin zu klassischen japanischen Traditionen vereint der Berliner darin höchst unterschiedliche Formen, Klänge und Rhythmen. Nach einem mehrmonatigen Studienaufenthalt in der alten Kaiserstadt Kyoto hat Schaefer eine starke Nähe zur japanischen Kultur, zu Zen, Meditation und der Haiku-Tradition entwickelt. Es entstanden Kompositionen wie das wunderbar innige „Hiei-Zan Nightfall“ und das sanft-forschende „Shadows in the Woods“ über Natur- und Landschaftsimpressionen. In „Tengu“, nach einem japanischen Mythos ein dämonischer Waldgeist, verarbeitete Schaefer Empfindungen von einer längeren Waldwanderung, bei welcher er sich verspätet hatte und in die aufkommende Nacht geriet. Passenderweise stieg er hier mit einem wilden, wuchtigen Drum-Solo verquerer Rhythmen und wirbelnder Sounds ein. Dem stand Bassist John Eckhardt, der auch schon mal repetitiv auf einer Note herumritt, mit einer ausgelassenen Improvisation in nichts nach.

Eine Verbindung von einer früheren Präsenz japanischer Jazzmusiker in Amerika und Europa in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts zu heute fand Schaefer in dem Klarinettisten Kazutoki Umezu. Als „Doctor“ Umezu erfand dieser mit seiner Band eine originelle und witzige Form des Freejazz. In seinem hochsensiblen, ästhetisch berauschenden Spiel auf Bass-Klarinette und Klarinette trifft der erfrischende Swing eines Benny Goodman auf Klezmersounds und die intime Klarheit eines Jimmy Giuffre. Im Duett mit Naoko Kikuchi, die meisterhaft die traditionelle japanische Wölbbrettzither Koto spielt, entstanden Momente, die der Zeit enthoben schienen. Dabei wechselt Kikuchi, die seit einigen Jahren als Mitglied im Ensemble Modern viel Neue Musik spielt, virtuos von rhythmischer Begleitung zu meditativen pentatonischen Melodien, die viel Raum lassen und ohne erkennbares Metrum auszukommen scheinen.

Mit dem Albumtitel bezieht sich der Schlagzeuger, der mit dem [em] Trio und anderen Bands bereits mehrfach beim Jazzclub gastierte, auf Alain Resnais berühmten Film „Hiroshima, mon amour“. Die bemerkenswerte Filmmusik zu diesem Drama diente Schaefer als Ausgangspunkt für ein vorwiegend frei improvisiertes Stück, welches von zarten, berührenden Momenten im Dialog von Klarinette und Koto bis zu energetischen Eruptionen gegensätzliche Stimmungen auf gelungene Weise in sich vereinte. Das Zusammendenken von Gegensätzen im Klang der Instrumente und ein offener Umgang mit Formen und Mitteln der Klangerzeugung können generell als Kennzeichen der musikalischen Welt von „Kyoto mon Amour“ gelten. Es sind großartige Arrangements, die Schaefer mit seinen Kompositionen geschaffen hat. In ihnen kommt die Erhabenheit und Tiefe japanischer Poesie ebenso zum Ausdruck, wie die Kraft des afroamerikanischen Jazz, gepaart mit heftigen Freejazz-Ausbrüchen und magischen Klangerforschungen. Ein aufregendes und wunderbares Konzert, das Anlass lieferte sein persönliches intellektuelles Genußtöpfchen zum Überlaufen zu bringen.

Kazutoki Umezu – clarinet & bass clarinet
Naoko Kikuchi – koto
John Eckhardt – doublebass
Eric Schaefer – drums

Info:  „Die Zeit“ hat ihn zum „heimlichen Zentralgestirn der […] deutschen Jazzszene“ erhoben, für die Süddeutsche hebt Eric Schaefer „die Jazzwelt abermals aus so manchen Angeln“. Mit „Kyoto mon Amour“ hat der Schlagzeuger und Komponist einen Brückenschlag zwischen westlicher und japanischer Musik gemacht. Erschienen ist das Album mit eine Kalligraphie auf dem Cover 2017 beim Münchner ACT Label (Edel), auch im Vinyl-Format.

Fotos: Michael Scheiner

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