Bis gestern lief unsere kleine Umfrage in Sachen „Reform der Jazzstrecke“ beim WDR. Diese nicht repräsentative Umfrage auf jazzzeitung.de kam gleichwohl zu einem klaren Ergebnis. Auf die Frage, ob man sich lieber Autorinnensendungen oder kuratierte und moderierte Playlists wünsche, gaben doch ca. 73 % der Abstimmenden der Autorinnensendung ihren Vorzug. Nur 12,5 % erwarten eher moderierte und kuratierte Playlist. Mehr von beidem wünschten sich etwa 14 %. Natürlich handelt es sich nur um ein Stimmungsbild von wahrscheinlich jazzaffinen Personen. Der WDR hat sich aber längst gegen die Autorinnensendung ausgesprochen. Und hat dafür von Michael Rüsenberg auf jazzcity.de ordentlich Kritik im Vorfeld unter dem Titel „Jazz-Kahlschlag auf WDR3“ oder Hans Hoff bei der Süddeutschen Zeitung („Genug improvisiert“) bekommen.
Zur Sache
Gestern ging es los mit Nina Heinrichs moderiertem Mixtape zum aktuellen Jazz und drumherum. Das Ganze startete unspektakulär mit den Worten:
„[Trailer]WDR 3 mit Jazz & World – [Moderation] „mit Nina Heinrichs. Einen wunderschönen guten Abend wünsche ich. So. „The Oracles“, so heißt das Debütalbum von Angel Bat Davis. Wobei man eigentlich sagen müsste: Debütkassette. Sie hat das Ganze nämlich auf Tape veröffentlicht. Nachdem Plattenspieler kann man nun also getrost seinen Walkman aus dem Keller holen. Das beruhigt mich persönlich sehr. Angel Bat Davis ist Klarinettistin aus Chicago und sie hat irgendwann ihren Job hingeschmissen, ist auf Weltreise gegangen und dabei ist „The Oracles“ entstanden. Das Album ist `ne One-Woman-Show. Sie hat alle Stimmen und Instrumente selber eingespielt und das Album auch selber produziert, und zwar unterwegs auf ihrem iPhone. Thematisch steht es in der Tradition des Afrofuturismus, erinnert an Sun Ra oder auch George Clinton. Angel Bat Davis zieht sich zwar keinen Raumanzug an, oder spielt mit Adroiden als Symbol für Versklavung wie das beispielsweise Janell Monet gemacht hat, aber auch sie macht auf Rassismus aufmerksam und erzählt, wie es ist, in einer schwarzen Haut zu stecken. Der Song, den wir jetzt hören, weist dezent darauf hin, womit wir uns heute in der Sendung noch ausgiebig beschäftigen werden. Hier ist Angel Bat Davis mit „London“. [Musik]
Kein Wort zur Neuausrichtung der Jazzstrecke von irgendwem. Es geht einfach los. Der WDR macht weiter wie bisher ohne so weiterzumachen wie bisher. Das ist irgendwie mutig, dürfte aber die traditionellen Hörenden etwas ratlos zurücklassen. Wer das neue Jazz-Programmschema vielleicht doch zuvor angeschaut hat, ist aber im Bilde: „Improvisiertes zum Tagesausklang“ nennt sich dieser Sendeplatz im Untertitel, dem sie nun wohl tatsächlich gerecht wird. Die Sendung hüpft dann thematisch zwischen Rassismus, Brexit und Mauerbau herum, bringt sicher viel neue Musik, die man nicht direkt auf dem Schirm hat. Die Live-Moderation ist dabei locker und wenig tiefschürfend. Immer wieder werden mal so „kleine Geschichten“ von der Hintertreppe der Jazzgeschichte eingeflochten. Man muss ja Brücken bauen zwischen den Musikeinspielungen. Ich finde das reichlich nett, aber auch egal. Vielleicht muss man den Jazz und sein musikalisches Drumherum auch nicht so wichtig nehmen.
Manche Stilblüte ist dabei: Wenn Nina Heinrichs über den Mauerbauwunsch Trumps überleitet zur Brücke Mary Halvorson und London, weshalb es ein Beatles-Cover von „With a little help from my friends“ gäbe, weil „Freunde braucht man, wenn man Mauern bauen will“. Das ging reichlich schief. Improvisiertes zum Tagesausklang wird da dann doch etwas sehr wortwörtlich genommen.
Ich hatte ehrlich gesagt zu Beginn der Sendung erwartet, dass man ein bisschen erklärt, warum man was an der Jazzstrecke nun ändert. Vielleicht ein erklärendes Wort der neuen Redakteurin Tinka Koch. Aber man hat es eben anders entschieden. Diskurs ist ja immer auch irgendwie gefährlich.
Die Musikauswahl war ja „interessant“, die Gesamtlinie wirkte aber auf mich doch relativ locker die Musik anekdotisch bequasselnd, einige O-Töne sichern Authentizität und Recherche-Wissen. Sicher professionell gemacht und gesprochen.
Man wird schauen müssen, wie sich die anderen drei Moderatorinnen schlagen werden. Es dürfte aber doch sehr schade sein, wenn man nun wirklich auf Autorinnensendungen mit längeren ausgearbeiteten Jazz-Recherchen beim WDR verzichten wollte. Jeden Abend das „Unbekannte“ erwarten zu müssen (das Programm online schweigt beharrlich über Inhalte oder selbst die jeweiligen Moderatorinnen), das geht tatsächlich nur, als Tagesausklangbegleitprogramm. Ob das wirklich funktionieren kann? Ich habe da so meine Zweifel. Für die Jazz-Kennerinnen ist das zu dünn, für die zufällig Hinzuhörenden zu sehr kennerisch (was bitte ist Afrofuturismus, wer ist Janell Monet?). Aber das Jahr ist noch lang und Übung macht die Meisterin. Wer weiß …
Hat sonst noch jemand zugehört? Gibt es Meinungen zum Neuausrichtung des WDR.
Die Hörer des WDR sollten sich einmal Gedanken machen, wer denn für die immer weiter gehenden Veränderungen beim WDR Hörfunk verantwortlich ist. Das ist die Hörfunkdirektorin Valerie Weber, die kaufte der WDR im Jahr 2014 vom Privatfunk ein und seitdem ruiniert diese Person ein Programm nach dem anderen. Los ging es mit WDR 3 und obwohl mehrere Hundertausend Hörer protestierten, wurde die Reform durchgezogen. Dann wurde WDR 5 umstrukturiert, auch nicht zum Vorteil des Senders. Anschließend kam Funkhaus Europa an die Reihe – nicht mehr existent. Was sich bei WDR 1 (Eins live) und WDR 2 veränderte, dazu kann ich nichts sagen, diese Sender höre ich nicht. Ich kann zudem berichten, dass seit der Arbeitsaufnahme Frau Webers die Stimmung im WDR Funkhaus gewaltig in den Keller gerutscht ist. Ich vertrete seit drei Jahren die Meinung, dass Frau Weber ihre Position ständig zu rechtfertigen versucht, indem sie diesen Aktionismus an den Tag legt. Vielleicht meint sie, weil sie eine Frau ist, muss sie permanent Beweise ihrer Kompentenz und Führungsstärke vorlegen. Falsch, Frau Weber! Gutes und Bewährtes muss nicht ständig erneuert werden. Schade WehDeErr. Ich muss nicht WDR hören, via Internetradio kann ich Jazz weltweit empfangen. Schade ist, dass solch hoch-kompetente Musikfachleute wie Karl Lippegaus nicht mehr zu hören sind. Aber in Köln steht ja auch noch ein hohes Haus, dort residiert der DLF.
Alles richtig. Heute mein 3. Versuch: und die haben entweder Probleme mit der Sprache die hier gültig ist oder sind die coolen, die kein Manuskript brauchen, weil sie meinen, alles im Griff zu haben. Lieber Vollautomaten auf Sendung schicken.
Die Kritik ist mehr als berechtigt. Formatradio ist weiter auf dem Vormarsch, bitte alle Ecken und Kanten abbügeln, bitte keine Tiefe mehr, nichts Anstrengendes, auch wenn das genau das Distinktionsmerkmal ist, was zwischen Sender und Dudelfunk unterscheiden hilft.
Wer einmal am Telefon eine „Umfrage zum Musikgeschmack“ mitmachen durfte, der weiß, dass in diesen Köpfen neben Schlager, Volksmusik, Metal und Charts-Pop leider nichts existiert, für das man sich entscheiden könnte. „Nichts von alledem?“ „Ist leider nicht vorgesehen.“ Wir klatschen im Viervierteltakt.
Ansonsten: wer ist Janelle Monáe: https://de.wikipedia.org/wiki/Janelle_Mon%C3%A1e
Die Leute bei kjazz, L.A., sind mehr drin. Aber die kriegen ja auch keine Gebühren. Oder nebenbei, wenn auch nicht Jazz: bei Radio Caroline kann man sich ’ne Stunde nach Wunsch auf den Sender wuchten. Personell Top 15. Aber die kriegen ja auch keine Gebühren…..