Der Pianist Joachim Kühn traf im Dortmunder Jazzclub domicil auf die Ruhrgebiets-Kollektivband „The Dorf.“
Es braucht eigentlich kaum einer Erwähung: Auch der Pianist Joachim Kühn ist schon oft im Dortmunder Jazzclub domicil aufgetreten: „Es dürfte ungefähr im Jahr 1970 gewesen sein – und ich fand den Keller damals auch sehr schön“ erinnert sich der heute 75jährige Pianist an die alte Spielstätte des Jazzclubs in einem Keller an der Leopoldstraße. Später zog das domicil ins ehemalige Hansa-Theater und ist heute als regelmäßiger Aufführungsort für Jazz und anderes im Ruhrgebiet nicht wegzudenken. Seit der Gründung dürften hier etwa 3600 Livekonzerte über die gegangen sein – getragen von öffentlicher Förderung und noch mehr mehr bürgerschaftlichem Engagement, geadelt durch etliche Spielstättenpreise und immer wieder neu bestätigt durch eine kontinuierlich hohe Publikumsnachfrage.
Das Auftaktkonzert einer ganzen Reihe zum runden Jubiläum demonstrierte, worum es in einem guten Jazzclub geht: Mit einem Soloauftritt von Joachim Kühn einen der besten internationalen Musiker auf der Höhe der Zeit nach hierhin zu holen. Zugleich mit einem Gig der Ruhrgebeitsformation „The Dorf“ am Puls der regionalen Musikszene zu sein. Im Idealfall berührt sich dies und reagiert miteinander – so geschehen an diesem bemerkenswerten Eröffnungsabend:
Joachim Kühn, gerade mal 75 Jahre alt oder jung, zeigt, wie wir ihn kennen und schätzen: Fröhlich redet er mit seinem Publikum und hat natürlich „mal eben“ ein neues Album aufgenommen. Und er taucht ein in sein Element – was so ziemlich jedem anderen seiner Zunft mal wieder zeigt, wo der pianistische Hammer hängt! Seine weitgespannte freie Improvisation ist Visitenkarte und Präludium zum Aufwärmen. Das bündelt mit lässiger Vehemenz sämtliche seiner Markenzeichen: Bachs polyphone Läufe verzahnen sich gegeneinander, setzen verblüffende Jazzphrasen frei, um auf dieser Basis in weite Klangräume vorzustoßen. Und immer funken da diese sich überschlagenden Sechzehntelfiguren der rechten Hand dazwischen, so, als würden die musikalischen Ideen auf der Überholspur atemlos miteinander wetteifern. Joachim Kühn könnte endlos so weiter machen, aber dann wäre es ein anderes, zugegeben nicht minder spektakuläres Konzert! Jetzt hält er inne, moderiert und erklärt das Anliegen dieses Abends im domicil: Wie auf dem neuen Album „Melodic Ornette Coleman“ geht es aktuell um den melodischen Gehalt vieler Ornette-Coleman-Stücke. Wie Joachim Kühn dieses Material mal stürmisch vehement, dann wieder nachforschend zu etwas eigenem formt, zeigt einmal mehr, wie sehr solche Musik und auch dieser Musiker immer ihrer Zeit voraus sein werden. Seinen Solo-Set beschließt er mit einer Rock-Nummer, die nicht minder kolossal Eingemachte geht: Eine tief persönliche Version von Jim Morrisons apokalyptischer Hymne „The End“ setzt zum Finale die Bühne regelrecht in Flammen.
Der Gegenpol an diesem Abend lässt es vor der Bühne voll werden. Jan Klares Kollektivband „The Dorf“ teilt vor allem eins mit der lebenden Pianisten-Legende: Ansteckende Fantasie und intuitive Flexibilität, um jedes erdenkliche Klangabenteuer spontan auf einer Live-Bühne umzusetzen. In diesem Fall mit Bläsersätzen, die zu ausgiebigen Klangbädern einladen, mit rockigen E-Gitarrensoundbrettern, zwei Schlagzeugern, Streichern, psychedelischer Elektronik und einer Singstimme, die in ausgesuchten Momenten für sinnliche Glanzlichter sorgt. Denn die „Dorf“-Musiker erweisen sich an diesem Abend ganz groß im Auftürmen hymnischer Melodiebögen und hochdifferenziert durchgezeichneter sinfonischer Klangpanoramen. Das zeigt vor allem ein: „The Dorf“ ist längst viel mehr als „nur“ das vielbeschworene „fröhlich-anarchische Musikerkollektiv“ welches sich mit Herzblut daran abarbeitet, dem Jazz wieder viel von seiner Unangepasstheit zurück zu geben.
„Joachim, hast Du Lust mit uns zu spielen“ lautet die folgerichtige Frage dieses Abends. Der lässt sich nicht lange bitten und versetzt den Konzertflügel in mächtige Schwingung, wie es die Ostinatofiguren des Band-Arrangements fordern, wird ein Teil des großen Ganzen!
Fotos und Text von Stefan Pieper