Text und Fotos von Stefan Pieper. Weit reicht der Blick vom Gelsenkirchener Nordsternturm über das Ruhrgebiet. Lichter funkeln – und einige letzte Stahlwerke und Fabriken schicken vereinzelte Feuerstöße in den Nachthimmel. Die mächtigen Stahlräder im Maschinenhaus, welche einst die Aufzüge in die Tiefe der Schächte entließen, stehen heute still. Das Maschinenhaus ist heute eine spektakuläre Musikspielstätte, welche durch die Konzertreihe „Fine Art Jazz“ für den Jazz erschlossen wurde – an diesem Abend fühlt sich das Trio um den Cellisten Jörg Brinkmann in einem solchen Umfeld sichtlich wohl.
Brinkmann, der heute in Bochum lebt, wollte im Alter von 15 Jahren nicht einfach nur die Kompositionen anderer, meist toter Komponisten nachspielen. Infiziert von Rock und Blues begann er, über harmonische Schemata zu improvisieren. Die Initialzündung wirkte nachhaltig: Heute spielt er so ganz das, was ihm die eigene innere Stimme sagt – und das hat ihn zum wohl prominentesten Crossover-Jazz-Cellisten im Lande werden lassen. Er verleugnet seine klassische Prägung dabei in keinem Moment. Sein Ton, den er auf seinem über 200 Jahre alten Instrument erzeugt, wirkt mächtig geerdet und berührt tief.
Auch und vor allem, wenn Brinkmanns Spiel in seiner aktuellen Triobesetzung wie in einer Symbiose aufgeht: Zu Anfang könnten Brinkmanns feinziselierte Arpeggieen auch einer Bachsuite zur Ehre gereichen. Auf der kleinen Bühne in der großen Maschinenhalle erzeugen sie auf Anhieb ein zartes harmonisches Geflecht, einen gemeinsamen Atem, in den sich die beiden völlig gleichberechtigten Mitstreiter geschmeidig einklinken. Vor allem Schlagzeuger Dirk-Peter Kölsch erweist sich als zart fühlender Melodiker, allein, wenn er mit zwei Bögen die Becken streicht, um mit zarten Sinustönen das Cellospiel zu „beantworten“. Und auch Jeroem van Vliet könnte endlos so weitermachen, wie er mit seinen unaufgeregten Läufen auf dem Wurlitzer E-Piano verträumte Geschichten erzählt, die nun durch die ehemalige Maschinenhalle fluten, wo die Räder schon seit vielen Jahrzehnten still stehen. Nicht Geschichte, sondern absolut zeitlos und gegenwärtig ist Jörg Brinkmanns Spielkultur auf dem Cello. Sein Spiel spannt weite, lyrische, oft melancholische und meditative Bögen. Wie eine ausgebildete Singstimme reizt sein Spiel das Spektrum von tiefer sonorer Tenorlage bis in höchste Flagoletts hinein aus. Er dosiert das Vibrato auf den Punkt, kann aber zugleich in betont jazziger Manier die Tonabstände verschleifen und dehnen. Uneitler kann man wohl kaum auf der Höhe der Zeit Musik machen – und freigeistiger wohl kaum klassisch-romantische Cello-Tugenden in einem heutigen, improvisierten musikalischen Umfeld wirken lassen! Diesem Cellisten und seinen Triopartnern ist auf jeden Fall extrem viel bewusst in diesem Moment. Viele der Stücke erfahren an diesem Abend ihre Deutschland-Premiere. Sie sind melodisch-lyrisch, manchmal auch rockig gefärbt. Sie offenbaren weite Räume für spannende Soli oder komplexe Kollektivimprovisationen. Besonders ergreifend wirkte eine ruhige, innige Ballade, die vor der Pause erklang: „Farewell“ – hoffentlich nicht für lange! Denn schon jetzt darf man sich auf das neue Album freuen, welches im Sommer erscheint.