Das Jazzfest Berlin 2018 ist vorbei. Ein letzter Abend im Haus der Berliner Festspiele bot drei Acts über die man fast hinweggehen könnte, um sich gleich einer Schlussbewertung zuzuwenden. Aber der Chronist ist gefragt, wenigstens die letzten Eindrücke einzusammeln. Ein bisschen verräterisch wurde freudfehlerisch der Abend von der Moderatorin mit „Ohren zu“ angeteast. Und das ganze als „Melancholic Sunday“.
Da wäre zur Eröffnung „Kim Myhr (Norwegen/Australien) – You | me“ auf der Bühne gewesen: drei Schlagzeuger und drei Gitarristen sowie ein Bassist boten zwei längere musikalische Klangschalen an, deren Verlauf ich hier einmal nachzeichne.
Zwei Klangbilder aus minimalem (aber perkussiv reichhaltigem – ich liebe die Große Trommel) Material. Beim zweiten im Dauerpuls von Achteln im taktweisen Wechsel von zwei Akkorden, als hüpfe man von einem Bein aufs andere. Kann man machen, findet seine Freundinnen. Ist, so gehört, radikalreduziert oder langweilig. Das mag jeder für sich entscheiden.
Also Ohren auf beim Mary Halvorson Octet (USA) – Away with you? Ich fürchte, ja – nur was man dann zu hören bekam bei ca. fünf Stücken (habe nicht mitgezählt) war eher magere Kost, die häufig genug leider Timing innerhalb der Musikerinnenschar vermissen ließ, dabei war das jeweilige Grundmaterial bunt gemischt, es reichte von Tristanakkorden (ganz zu Beginn) über fast kinderliedartige Vorlagen bis zu Hocquetus-Passagen (versemmelt). Dazu traten Intonationsschwierigkeiten bei den Bläsern. Der Ablauf immer gut vorhersehbar, ein bisschen immer auf dem Wege den musikalischen Input der Stücke am Anfang zu pulverisieren, ohne das dies gewollt erscheint. Also besser „Ohren zu?“. Hmmm.
Zum Abschluss dann Bill Frisell mit einem Solo. Schwierige Sache das. Obzwar der Saal andächtig ruhig blieb, waren die filigranen Gitarrenlinien wenig angetan, einen mitzuziehen. Es ist wirklich schwierig da einen musikalischen Strom zu entwickeln. Vielleicht gelang das noch am nachdrücklichsten im längeren zweiten Stück unter Einsatz einiger Effektgeräte in die er Patterns legen konnte. Das hatte etwas Feingliedriges, Meditatives: Musik wie auf Zehenspitzen. Insgesamt blieb das alles unter dem Motto und Albumtitel „Music is“ wenig genug. Rezensent verließ den Auftritt noch vor der Zugabe, bei der er mit Mary Halvorson sich zu Duo zusammenband.
- Hier geht es zu den Bildern vom letzten Abend, präsentiert vom HuPe-kollektiv
Ich finde, die haben ein besonderes Lob verdient. Kann ich ja sagen, sind schließlich nicht von mir!
Punkt!
Was war das denn nun alles?
Das wars mit dem Jazzfest Berlin 2018. Ein Überblich in Kritiken anderer Autorinnen zum Jazzfest 2018 ist wie immer ganz lehr- aber nicht hilfreich. Denn man wird da kein Einverständnis untereinander finden. Für die einen war der Auftritt des Art Ensemble Of Chicago hübsch, andere fanden die Proteste aus Chicago altbacken oder wie Rüsenberg bei Jazzcity.de „Das war wenig ‚black‘ und schon gar nicht ‚future‘, sondern kammermusikalische Konvention.“
Oder nehmen wir das „Expolding Star International“ am ersten Tag. Für den Autor des rbb: „Überhaupt steigert sich der Abend, er eskaliert fast schon – und kann nur noch mit einem Ensemble enden, das sich Exploding Star International nennt.“ Für Gregor Dotzauer im Tagespiegel dagegen: „Bei der Uraufführung des Auftragswerks ‚Galactic Parables Vol. II‘ treffen Chicago und Berlin in großer Klanggeste und fieseligem Kleinklein aufeinander, ohne die Dichte des Black Earth Ensemble zu erreichen.“ Jaimie Branch hat für die einen einfach zu tief intoniert, für andere war es das Highlight auf der Bühne des Hauses der Berliner Festspiele.
Genauso umstritten (nicht für mich, ich bin da leidenschaftslos, siehe unten): Die neue Leiterin des Jazzfest Berlin, Nadin Deventer, die den einen als großartige Impulsgeberin erscheint und die Politik auf die Bühne zurückholt, afrofuturische Akzente setzt (so im Jazzorgan „Spiegel“) und für andere eher eine Fehlbesetzung ist (Rüsenberg schon 2017): „sie schwadroniert nur über Jazz – als habe es einen Richard Williams, einen Bert Noglik, einen Albert Mangelsdorff, einen George Gruntz, einen Joachim Ernst Berendt nie gegeben.“ Dagegen Jens Lehmann im rbb: „Statt weiter an einem ‚behutsamen Umbruch‘ herumzuwerkeln, hat die neue Künstlerische Leiterin Nadin Deventer den großen Hebel umgelegt – und aus dem etwas in die Jahre gekommenen Jazzfest ein junges, offenes, spannendes Festival gemacht.“
Dabei ist die Sache ganz einfach: Jede Leiterin eines solchen Fests setzt die Akzente, die sie jeweils für „wichtig“ hält. Nicht mehr, nicht weniger. Es bedarf da keiner Superlativen sondern, Scherz: Alternativen. Was dann auf der Bühne sich ereignet, mein Gott, ist nicht so sehr gut vorhersehbar. Da geht manches eben schief. Manches klappt, manches ergänzt auf traumhafte Weise eine unsichtbare Lücke. Jetzt war es eben die Chicago-Sache, bei Williams waren es die englisch-karibischen Elemente, bei Noglik die Blickerweiterung in den Osten. Das finde ich denn doch recht reizvoll, auch beim Scheitern, das man etwas gewagt hat, wo die ganz großen Player nicht dabei waren, wo auch die Plattenfirmen die Bühne nicht für das Featuren der Neuerscheinungen „missbrauchen“. Die Zöpfe schneidet man gerade ab. Wenngleich man dann wieder das Marketingschwert zückt mit Deutschland-, Europa- und Weltpremieren, Uraufführungen etc. verfehlt man sein Ziel gleichwohl. Gefallen hatte ich auch nicht an den Ankündigungen von Moderatorinnen, die Kommendes in den Himmel der musikalischen Ewigkeiten jubeln. Der Sturz danach ist sehr gefährlich.
Ich erlaube mir in dem Zusammenhang belgischen Philosophen Friedrich Nietzsche zu zitieren, um den Bogen zu Melancholie zu ziehen:
„Schlimm genug! Wieder die alte Geschichte! Wenn man sich sein Haus fertiggebaut hat, merkt man, unversehens etwas dabei gelernt zu haben, das man schlechterdings hätte wissen müssen, bevor man zu bauen – anfing. Das ewige leidige »Zu spät!« – Die Melancholie alles Fertigen!…“ (Nietzsche: Jenseits von Gut und Böse. DB Sonderband: 100 Werke der Philosophie, S. 33487 (vgl. Nietzsche-W Bd. 2, S. 747))
Wer weiß, was nächstes Jahr kommt? Vielleicht ein Tanz auf den Gräbern des Afrofuturismus, ein Blick in die Jazzwerkstätten des sog. Fernen Ostens? Mehr Party statt Poetry. Abwarten. Es ist doch auch etwas Schönes, wenn man auf das Unbekannte und Unvorhersehbare warten darf, statt auf dem ewigen Gleisen des (angeblich) Marktgängigen geschient zu werden. Nun denn, nun auf!
Unsere Berichterstattung mit Fotos im Rückblick
Jazzfest Berlin 2018 | Tag 4 | Mary Halvorson Octet / Bill Frisell
Die Musikerinnen des letzten Abends
Kim Myhr (Norwegen/Australien) – You | me
Deutschlandpremiere
- Kim Myhr electric and acoustic guitars
- David Stackenäs electric and acoustic guitars
- Håvard Volden electric and acoustic guitars
- Adrian Myhr guitars, bass
- Ingar Zach percussion
- Hans Hulbækmo drums, percussion
- Tony Buck drums, percussion
Mary Halvorson Octet (USA) – Away with you
Europapremiere
- Mary Halvorson guitar
- Susan Alcorn pedal steel guitar
- Dave Ballou trumpet
- Jon Irabagon alto saxophone
- Ingrid Laubrock tenor saxophone
- Jacob Garchik trombone
- John Hébert bass
- Tomas Fujiwara drums
Bill Frisell (USA) – Music is
Deutschlandpremiere Album
- Bill Frisell guitar solo
die Fotos vom HuPe-kollektiv haben am ersten Tag schon *ein besonderes Lob* von mir aushalten müssen
ich wollte mich aber nicht jeden Tag wiederholen
Lieber Herr Ries, das habe ich schon bemerkt mit großer Freude. Danke, dass Sie es wiederholen. Es ist eben schon etwas anderes, ob man auf die Pressefotos zurückgreifen muss oder es halt selbst in die Hand nehmen kann. Unserer HuPe–kollektiv-Fotografin danke auch ich sehr!