Das Jazzfest Berlin wird dieses Jahr zum ersten Mal von Nadine Deventer kuratiert. Sie wird vieles anders machen, Akzente neu setzen, kurz: Ihren eigenen Stempel den vier Tagen an der Spree aufdrücken. Die Ansprüche sind hoch, im gegenseitigen Einvernehmen mit den Musikerinnen und dem Publikum.
Es ist zugleich ungerecht und dennoch nicht übergehbar, dass Nadine Deventer zugleich als erste Frau dieses Festival strukturiert. Aber ein Geschlecht macht noch keine Musik. Es ist eigentlich damit nur eine notwendige wünschbare Normalität eingetreten. Sie leitet das Fest ja nicht als Frau, so wenig wie es vor ihr die anderen Leiter als Männer getan haben. Über diese kleine Brücke muss man allerdings der Form halber gehen. Zumal es mindestens an zwei Stellen von Vortragenden oder Musikern ausdrücklich erwähnt wurde.
Deventers Stempel ist dabei wie immer bei derartigen Veranstaltungen ein Experiment. Was sich am Ende realisiert, ist kaum planbar. Es hängt von den Musikerinnen ab. Und es hängt auch davon ab, was man sich selbst zur Vorgabe macht.
„So What Can Jazz Do?“
Programmatisch startete das Festival mit einem Vortrag von Bonaventure Ndikung „So What Can Jazz Do?“ fragt er sich und unsereinen. Was kann Jazz leisten in einer Zeit der zunehmenden Verdüsterung durch das Wiedererstarken von Faschismen, Unterdrückungen, Rassismus, Chauvinismus …. Was kann Jazz machen? Die Antwort ist reichhaltig und schwierig. Es geht dabei um Protest, um Geist (Spirit), es geht um „Heilung“, um eine gesellschaftliche „recalibration, to be save“. „There is hope“, sagt er und man will ihm glauben. Der Duktus des Pamphlets erinnert an die Wucht der 60er-Jahre Aufbruchbewegungen. Natürlich „Befreiung“ will man haben, aber eben doch nicht ohne ein Netz von Nebenbegriffen, die „Befreiung“ zu einem reichhaltigen und nicht leeren Begriff werden lassen.
“So What Can Jazz Do?” – Antworten erwartet man sich dann natürlich vom danach startenden Jazzfest. Herausforderung oder Bürde? Beides! Der erste Tag des Jazzfests machte, wenn man so will, Angebote. Wie das eben so ist, wenn zahlreiche Bands mit ihren eigenen Poetiken der Befreiung aufwarten. Vielfalt und Einfalt! Deventers Überlegung: Wir lassen das ganze Haus bespielen. Kassenhalle, Oberes Foyer, Seitenbühne, Unterbühne und Saal. Darin lässt sich wandeln, wählen, ablehnen – und nebenher auch Gespräche machen. Das ändert den Konzentrationsraum bisweilen beachtlich. Es nährt das Gefühl von Relativität. Produktionen, die einen in den Bann schlagen und Energie freisetzen, andere, die einen kalt lassen.
Doch zunächst musste es „Nicole Mitchell’s Black Earth Ensemble“ (USA) mit „Mandorla Awakening“ einzulösen versuchen. Noch im Saal, noch eingebunden in der Klammer des „Festspiel“-Hauses. In der Tat startet es mit einem sich steigernden Gewölle aus elektronischen Klängen, in das sich ein. Beat einbettet, um dann im Ensemble kraftvolle, energiereiche Blüten auszutreiben. Starker Beginn. Das Ensemble sortiert sich immer wieder in kleineren Duo- bis Quartettformationen. Harfe ist dabei, japanische Instrumente, Cello. Ein Wechselspiel aus archaischen und modernen Elementen, dann Ostinati (wohl afrikanischer Provenienz). Das geht so rhapsodisch über 40 Minuten. Leider trägt es nicht die ganz Zeit, die Momente fransen aus, die Dichtigkeit reißt. Erst zum Schluss, als eine Stimme hinzutritt, bekommt der Auftritt die Energie zurück. Ist es das, was Jazz kann?
Improvisationswelten
Oder ist es eher das, was dann in parallelen Veranstaltungen beispielsweise das Duo „Hamid Drake & Yuko Oshima“ (USA/Japan) in der doppelten Schlagzeugwelt ausbreiten, wenn sie einen musikalischen Sog erzeugen, ein Klanggeschehen erzeugen, das einen umhüllt und das in einem nachschwingt? Oder ist es auf der Unterbühne das „Kim Collective“ (Carte Blanche – 360° Multikanal-Installation/Live-Processing), in deren quasi unendlicher (rundeckiger) Improvisationswelt mit vogelartig maskierten Musikerinnen und Digitalbearbeiterinnen man sich häppchenweise aufladen oder entspannen kann. Oder ist es der Pianist Elias Stemeseder (Österreich), der sich im allgemeinen Geräuschpegel des Oberen Foyers seinen Improvisationskokon baut, in dessen musikalische Welt man wie durch eine unsichtbare Wand eintreten könnte? Um nur ein paar Beispiele zu nennen aus dem „Haus voll Jazz“.
Deventer unternahm den Versuch, ein musikalisches Netzwerk zu konstruieren in der musikalische Welten nebeneinander und auch durch Wanderung fast ineinander übergehen. Das ist ein Wagnis. Sie bietet den Raum, sie wählt dabei aus. Ebenso tut es das Publikum. Und man darf es wohl als ein gutes Zeichen werten, dass gegen 22 Uhr die Theke der Bornemann-Bar im Oberen Foyer leer war. Das Konzept zieht. Gewiss. Aber es ist dennoch eine Glückssache oder sogar …
Improvisatorischer Reizhusten mit transstellarem Klangstaub
… Pechsache war dagegen der als „Höhepunkt“ apostrophierte Schlussauftritt von, man lasse es sich auf dem Mund zergehen: „Exploding Star International: Chicago-Berlin (USA/Deutschland) – Galactic Parables Vol. II“. Angeblich mit vier Tagen Probezeit bot dieses vielköpfige Orchester den Reiz eines improvisatorischen Hustens: Eckig, kantig, auch manchmal kompositorisch schlecht gesetzt, „exploding“ war da wenig. Also, wer sich vielleicht Hoffnungen gemacht haben sollte, in der Art intergalaktischer Jazz-Art etwas abzuholen, dürfte mit leeren Händen und Ohren nach Hause gegangen sein (Ich habe es für mich abgekürzt). Am schönsten vielleicht dann die gottlob etwas längere Passage mit transstellarem Klangstaub nach ca. 20 Minuten.
“So What Can Jazz Do?” Er kann mindestens etwas für sich tun! Nämlich auf sich selbst vertrauen, auch das Düstere zulassen, das Destruktive, das Nichtgedeckte. „Heilung“ bringt auch das Ritual aus Energien von kochenden Improvisationssäften. Es ist nur ungleich schwerer, als sich hinter Notenständern die Welt zusammen- und auseinanderzukonstruieren, weil der Abgrund ins Uneinlösbare drohen könnte. Und einen dann auch keine Vokabel wie „Dekonstruktion“ mehr schützen kann.
Am Rande bemerkt: Der Auftaktvortrag hatte zwei „Akte“. Als Bonaventure Ndikung zum zweiten Teil anheben wollte, protestierte ein Besucherin in der Reihe vor mir mit dem Ruf nach „Musik“, sie war offenbar der theoretischen Auseinandersetzung leid. Und ganz Publikum, das eine klingende Dienstleistung erwartet. Da hat der Jazz noch einiges zu tun vor sich!
die Fotos sind spitze