Seine unverkennbare Stimme hat an Eindringlichkeit nichts verloren. Vielleicht ist sie noch eine Spur heiserer, brüchiger, kehliger geworden, geht noch tiefer unter die Haut, lässt schaudern, leiht den Gedanken Flügel oder erdet die Gefühle, je nach der Vorlage seines die gesamte Weltliteratur umfassenden Repertoires. Der große Sprachzauberer Christian Brückner, Rezitator, Interpret, Synchronsprecher, Regisseur, Schauspieler, wurde am 17. Oktober 75 Jahre alt, und die WDR Big Band und das Kölner Literaturfestival lit.Cologne kündigten „Einen Tusch für Christian Brückner“ an.
Es wurde ein höchst anspruchsvoller und dabei vergnüglicher Abend im ausgebuchten Klaus-von-Bismarck-Saal im WDR-Funkhaus, eine Hommage an die unvergessliche deutsche Stimme von Robert De Niro („Taxi Driver“, „Der Pate“), auch von Robert Redford, Peter Fonda, Harvey Keitel, Donald Sutherland. Eine Würdigung des Interpreten großer Literatur in Lesungen und unzähligen Hörbüchern, nicht zuletzt aber auch eine Verbeugung vor dem bekennenden Jazzfan Christian Brückner. Die WDR Big Band trat in voller Besetzung an, unter der Leitung von Torsten Maaß. Sie begrüßte Brückner, der mit seiner Ehefrau Waltraut, seinen beiden Söhnen und drei Schwestern angereist war, mit dem Peggy Lee-Klassiker „I love beeing here with you“, arrangiert von John Clayton, um ihm gleich darauf Miles Davis‘ „Tutu“, von Torsten Maaß speziell für ihn arrangiert, als musikalischen Geburtstagsstrauß zu überreichen.
Zu einem Höhepunkt des Programms wurde die von Mike Herting komponierte und arrangierte Collage „Stimmen“, in der Brückner, von der Big Band umrahmt und untermalt, Texte von Theodor Körner („Die menschliche Stimme“), Joseph Roth („Der Souffleur“), Homer („Odyssee“), Emil Zola („Der Bauch von Paris“), Geoff Dyer („but beautiful“), Joachim Ringelnatz („… da rief der Mond…“) in seiner unnachahmlichen Art vortrug – wobei eine Prise „Taxi Driver“ („Redest du mit mir?“) nicht fehlen durfte.
Nicht allen im Kölner Publikum mag bekannt gewesen sein, dass einer der Söhne Brückners ein in der Berliner Szene und darüber hinaus viel beschäftigter, exzellenter Jazzgitarrist ist. Nach Kai Brückners rockigem Solo in Tom Waits‘ „Temptation“ , arrangiert wiederum von Torsten Maaß, kam es zu einem vertrauten Vater-Sohn-Dialog, in dessen Verlauf der souverän durch den Abend führende Moderator Knut Elstermann Brückner entlockte, dass er in jungen Jahren absoluter Stones-Fan war. Bis heute aber herrscht die Liebe zum Jazz vor, der die Big Band mit „Autumn in New York“, einem seiner Favorites, in einem schönen Arrangement von Bill Mays huldigte.
Huldigungen gleich, und zwar des Menschen und Freundes Christian Brückner, kamen die Beiträge dreier Gäste: Die Schauspielerin Anneke Kim Sarnau berichtete schalkhaft von heiklen gemeinsamen Filmaufnahmen. Elke Heidenreich, mit warmen Worten ihre lange Freundschaft zu Brückner beschreibend, begeisterte mit ihrer Lesung eines satirischen Textes von Dorothy Parker. Die Laudatio zum 75. Geburtstag hielt Christine Becker, die Witwe Jurek Beckers. Sie zeichnete ein differenziertes, von aufrichtiger Freundschaft geprägtes Charakterbild des Künstlers und des Menschen Christian Brückner, mit dem sie offensichtlich exakt der tiefen Zuneigung entsprach, die auch das Publikum mit seinem lang anhaltenden Beifall diesem großen Sprachkünstler vermitteln wollte.
Abschließend sei noch auf zwei CDs hingewiesen, die Brückners Liebe zum Jazz und zur Literatur gleichermaßen dokumentieren:
WDR Big Band & Christian Brückner: „Ich bin sehr jung auf eine sehr alte Welt gekommen“ – Erik Satie – Eine Liaison von Musik & Literatur, gelesen von Christian Brückner; Frank Chastenier, p; Peter Erskine, dr; WDR Big Band Köln, Leitung: Bill Dobbins, WDR 2003/ CMO Music 2006.
„Odyssee“, Cologne Contemporary Jazz Orchestra CCJO; Christian Brückner, Erzähler; Fredrik Köster, solo tp; Heiner Schmitz, comp., arr., ld.; Big Band Records 2012. Dieses Gesamtkunstwerk aus der Feder des Saxophonisten und Jazzkomponisten Heiner Schmitz wurde am 16. September im Kölner Stadtgarten erneut aufgeführt, mit dem CCJO – und mit Christian Brückner, der wieder einmal die Zuhörer schon mit seinen ersten Worten fesselte: „Ich bin Odysseus, Laertes Sohn, durch mancherlei Klugheit unter den Menschen bekannt und mein Ruhm erreicht den Himmel…“. Die JazzZeitung berichtete bereits darüber: Nach der „Odyssee“ nun die Sieben Todsünden: Heiner Schmitz
Außerdem veröffentlichte Christian Brückner ein Album zwischen Chanson, Filmmusik und Jazz: „BrücknerBerlin“, 2017 (Parlando)
Text: Dietrich Schlegel
Titelbild: Matthias Scheuer (audioberlin.com)