Von Michael Scheiner. Selbst in New Orleans, der Wiege des Jazz, wie die Stadt am Mississippi gern bezeichnet wird, würde Nicole Johänntgen mit ihrem Bandprojekt „Henry II“ die Szene kräftig aufmischen und jedes Publikum zum Tanzen bringen. Damit haperte es beim Auftritt der Saxophonistin und ihren Musikern im Leeren Beutel leider ein wenig. Die gemütliche Sitzordnung mit Tischchen und das zumindest teilweise etwas fortgeschrittene Alter des Auditoriums verlockte nur eine Handvoll begeisterter Zuhörer die Stühle wegzuschieben und Hüften und Beine in schwungvolle Bewegung zu versetzen. Der mitreißende Groove und die ansteckende Fröhlichkeit der Musik waren aber auch zu verlockend.
Das mit drei Bläsern und Schlagzeug besetzte Quartett um die 37-jährige Musikerin ist eigentlich ein Zufallsprodukt. Vor zwei Jahren unternahm Johänntgen während eines Stipendiumsaufenthaltes in New York einen Abstecher nach New Orleans. „Um mehr als ein bloßes Mitbringsel mitzunehmen“, erzählte sie nach einer Zugabe dem begeisterten Publikum, „wollte ich mit einigen Musikern ein paar Stücke aufnehmen, die ich im Stil eines modernen New Orleans Jazz komponiert hatte“. Sie fand die Musiker, den Posaunisten Jon Ramm, Tubaspieler Steven Glenn aus Colorado und den Schlagzeuger Paul Thibodeaux, einen echten Cajun, der in den Bayous von Lousiana aufgewachsen ist. In nur einem Tag nahm sie mit den drei exzellenten Instrumentalisten die Songs auf, „als Mitbringsel für mich selbst und ein paar Freunde“. Zuhause in Zürich angekommen, drängte sie ihr Freund „du musst die Sachen unbedingt auf Cd herausbringen“. Nach einigem Zögern ließ sich Johänntgen überreden – und erlebte innerhalb kurzer Zeit eine derart große Resonanz von Radiomachern und Fans, dass sie sich entschloss „die Jungs nach Europa zu holen und mit ihnen auf Tour zu gehen“. Inzwischen ist bereits das zweite Album „Henry II“ entstanden, welches die Band aktuell auf ihrer Tour durch Deutschland, Frankreich und die Schweiz vorstellt.
Beim Club war man von den Demoaufnahmen elektrisiert – und gehörte zu den ersten, die das famose Projekt „Henry II“ für einen Auftritt buchte. Ein überaus guter Griff, denn die vier Musiker – allesamt hervorragende Improvisatoren und Solisten – spielten mit einer solchen Lust, dass jeder der zuhörte angesteckt werden musste. Statt auf einer herkömmlichen Tuba spielte Steven Glenn ein mächtig ausladendes Sousaphon, welches als harmonische Bassgrundlage bereits im frühen New Orleans Jazz fest zu jeder Besetzung gehörte. Neben unerschütterlichen Basslinien versetzte er ein ums andere Mal mit atemberaubenden Soli die Zuhörer ins Staunen. „I never heard a tuba like this, wiiiijuu…“, „ich habe noch nie eine Tuba gehört, die so klingt“, ließ sich selbst die Bandleaderin zu einem anerkennenden Ausruf mitten im Spiel hinreißen. Aber auch ihre Soli, die präzisen Unisonolinien mit Posaunist Ramm und die vielfach verschlungene zwei- und dreistimmige Mehrstimmigkeit, boten mehr als einmal Anlass zu anerkennendem Zwischenapplaus. Damit sparte das Publikum, dem auch einige aus Nürnberg angereiste junge Fans angehörten, auch beim Schlagzeuger nicht. Zwischen butterweichem Hintergrundzischeln mit den Besen, anheimelndem Walzertakt und funkig sprühenden Marschrhythmen entfachte Thibodeaux ein unwiderstehliches Groove-Feuerwerk. In ihren Stücken greift Johänntgen traditionelle und moderne Rhythmen und Formen auf, erinnert mit „Zydeco“ an den von Cajuns entwickelte Stil, versetzt die sich verschlingenden Instrumente in Tanzlaune, nimmt die Zuhörer mit auf einen satt klingenden, trägen „Nachtspaziergang“. Das Gefühl auf den Straßen der Südstaatenmetropole zu schlendern, zu lachen und sich mitreißen zu lassen von der Lebenslust und –freude ist immer mit dabei. Bei der Zugabe, dem fröhlichen „Good Morning New Orleans“, ließen Johänntgen und Ramm die Stimmung ins Absurde kippen, als sie ein Duett über die berühmte „second line“ sangen, das sich auf „1.000 Kilo Schwein“ reimte!