Jin Jim mit „Weiße Schatten“

Das Alte Pfandhaus in Köln. Pre-Release Konzert für die zweite CD der Band Jin Jim. Der Soundcheck beginnt mit einem wahren Gewitter von Schlagzeug, Kontrabass und E-Gitarre. Wie soll sich da der Flötist Daniel Manrique-Smith als Frontman der Band durchsetzen, fragt sich besorgt der Ohren- und Augenzeuge, der nicht zuletzt wegen dieses Solisten gekommen ist. Doch wie er sich durchsetzt, das zeigt er bald, nachdem die üblichen Abstimmungen mit dem Tontechniker geregelt wurden. Er zeigt es dann ausführlich im Opener des Konzerts, zugleich das erste Stück auch der neuen CD „Weiße Schatten“ der seit vier, fünf Jahren Aufsehen erregenden und in der Tat aufregenden Band „Jin Jim“.

Ein wildes Entrée hat der Bassist Ben Tai Trawinski da für sich, den Schlagzeuger Nico Stallmann und den Gitarristen Johann May zusammengerührt. Und oh Wunder, sie sind unüberhörbar, die Flötentöne, Triller, langgezogene Melodiebögen, perkussive Klackgeräusche. Keine Zweifel mehr, Daniels Querflöten können sich behaupten inmitten der dröhnenden Beats des Schlagzeugs, des volltönenden Kontrabass und der flirrenden Gitarrenläufe. Alles in allem ein unverwechselbarer Sound, der mit dieser Konstellation erspielt wird, live im Konzert und atmosphärisch kaum vermindert im Studio.

Im gut besuchten Oval des Pfandhauses brach sogleich ein Begeisterungssturm los, der sich bis zu den nachhaltig geforderten Zugaben nach gut zwei Stunden noch steigern sollte. Auch weniger rockige Nummern, ausgesprochen melodiöse und getragene Kompositionen fanden großen Zuspruch. Kennzeichnend für die Band ist eine wirkungsvolle Dramaturgie, die durch stets wechselnde Tempi und moods in Aufbau und Ablauf der Stücke Erwartung und Spannung erzeugt und bis zum Schluss aufrechterhält. Alle Bandmitglieder steuern Kompositionen bei. Sie spiegeln die Einflüsse der einzelnen Musiker und der mittlerweile weit gereisten Band wider. Latin, Jazz und Rock bleiben die Grundelemente, abgeschmeckt mit spanischen, balkanischen, afrikanischen, indischen Gewürzen – und bei denen wird es nicht bleiben, wenn Jin Jim vom Goethe-Institut nach Tourneen durch Peru, Italien und fünf afrikanische Länder im Oktober erneut als Musikbotschafter hinausgeschickt wird, diesmal in den Sudan.

Ein weiteres Merkmal von Jin Jim sind die Dichte, die Kompaktheit, die absolute Abstimmung im Zusammenspiel der vier gleichgewichtigen, in Bonn und Köln wohnhaften Bandmitglieder. Das kommt nicht von ungefähr, denn Ben Tai, Nico und Johann kennen sich gut aus den gemeinsamen Studienjahren in Arnheim. In der einen oder anderen Formation haben sie zusammengespielt. Johann und Daniel wiederum waren sich in Deutschland begegnet und hatten zusammen in anderen Projekten, so auch in einem eigenen Tango-Trio, mitgewirkt. Als Drummer Nico den Auftrag bekam, für ein Festival eine eigene Band zu bilden, engagierte er seine alten Kumpel Ben Tai und Johann, und letzterer holte Daniel dazu – ein Experiment, das vollauf glückte. Daniels schwarze Augen leuchten heute noch, wenn er von diesem Konzert berichtet:

„Das war wie ein Traum, es hat alles sooo toll gepasst, es war sooo schön, unglaublich. Die Energie hat gestimmt, das Timing, der Austausch, Call and Response, einfach alles, es war wirklich unglaublich, wie wir miteinander harmonierten, auch zwischenmenschlich von Anfang an. Wir hatten alle Vier einfach riesig Lust, in dieser Formation weiter zu spielen und miteinander zu arbeiten. Aber es sollte dann doch noch anderthalb Jahre dauern, bis wir mit diesem Projekt wirklich anfangen konnten. Wir hatten uns nach dem Konzert einfach lange nicht mehr gesehen, jeder hatte seine eigenen Projekte, seine Arbeit…“

2013 war es soweit. Das Konzept stand: Querflöten und E-Gitarren vor dem Backing von Kontrabass und Schlagzeug. Eigene Kompositionen. Offen für Einflüsse von allen Seiten, Stilen und Kulturen auf einer Basis von Rock, Jazz, Latin, aber ohne Schablonen und Schubladen. Und es funktionierte wie bei jenem ersten Festivalkonzert. Das war eine Art Intuition für die Band, die sich bald auf den Namen Jin Jim geeinigt hatte, ein aus dem Hebräischen stammendes Wort, das so viel wie Rotschopf bedeutet, ein einstiger Kosenamen für den langmähnigen Drummer Nico.

Das Konzept funktionierte. Nach intensiver Vorarbeit konnte bereits ein Jahr nach der Gründung der Band 2014 bei Neuklang Records die erste CD „Die Ankunft“ erscheinen. Die darauf enthaltenen Stücke bildeten die Basis für zahlreiche Konzerte im In- und Ausland. Im Jahr darauf wurde Jin Jim auf den Leverkusener Jazztagen mit dem Preis „Future Sounds“ ausgezeichnet. Zu einem absoluten Höhepunkt gestaltete sich der Auftritt auf der JazzBaltica. 2017. Der Zuspruch der Fans war derart überwältigend, dass Daniel „noch drei Tage lang Gänsehaut“ hatte. Jin Jim war schon längst in den Focus der „ACT Young German Jazz“-Reihe geraten, und gleich nach diesem phänomenalen Auftritt bot Label-Chef Siggi Loch der Band einen Plattenvertag an – eine Art Ritterschlag für diese noch junge Band.

Mit „Weiße Schatten“ liegt nun das erste Produkt in dieser verdienstvollen Reihe zur Förderung herausragender junger deutscher Musiker vor, mit neun überzeugenden Beispielen für die Kreativität, Vielseitigkeit, Unverwechselbarkeit dieser Band, die vor Energie und Spielfreude nur so sprüht. Dabei entstehen neben quirlig heißen, durch den unheimlich dynamischen Drummer Nico Stallmann in Kooperation mit dem ihm nicht nachstehenden Bassisten Ben Tai Trawinski angetriebenen Ensemble-Stücken auch sehr melodiöse, eingängige Kompositionen, vorwiegend von Trawinski (der Flamenco „Duende“, der Song „Dreaming“, das madegassische Liebeslied „Mankafiza“) und dem Gitarristen Johann May (fast meditativ „Exploration“ und „Days of September“). Hier beweist Nico, dass ein rockiger Schlagzeuger auch feinfühlig, fast zart begleiten kann.

Die besondere Note aber verleiht all diesen Stücken Daniel Manrique-Smith mit seinen drei Querflöten – C-, Alt- und Bassflöte, die er je nach Art der Stücke, der Kompositionen und Improvisationen spielt. Der 1983 in Lima geboren Peruaner hatte schon als Kind und Jugendlicher Flötenunterricht genossen, aber zumeist lateinamerikanische Musik gespielt. Mit fast 20 Jahren kam er nach Deutschland, um an den Musikhochschulen in Frankfurt und Köln Klassik und Jazz zu studieren. Zu seinen Lehrern zählte auch Michael Heupel, der einen großen Einfluss auf ihn ausübte. Lachend erzählt Daniel, dass die Musik, die er heute mit Jin Jim spielt, für ihn ein ganz neues Terrain darstellt:

„Ich bin ein absoluter Rock-Analphabet, und zum Jazz bin ich durch die lateinamerikanische Popmusik, Bossa Nova, Lounge etc. gekommen. Ich habe viel Latin Jazz und auch Flamenco gespielt, natürlich auch viel Klassik. Aber mein heutiger Stil hat sich erst durch diese Band, durch Jin Jim, entwickelt. Die Jungs haben mir von Anfang an so viel Energie gegeben, dass ich einfach etwas ‚draufsetzen‘ musste. Und ich habe angefangen zu experimentieren, indem ich meine Stimme benutze, in das Mundstück hineinspreche, summe, singe, puste und pruste, als percussive Elemente. Das alles kam durch die Band, durch diese Energie, die von den Kollegen ausging, von den Rhythmen, den Melodien, ja nach dem. Das improvisiere ich zumeist.“

Neben solcherart phonetischen Effekten, die das Gesamtklangbild der Band bereichern, zeigt sich die klassische Schulung Daniels, wenn er glasklar weit tragende Melodiebögen intoniert, was besonders den erwähnten Kompositionen von Trawinski und May sehr gut bekommt. All seine Möglichkeiten der Artikulation zeigt Daniel in einem wunderbaren Solo als Intro zu der Flamenco-Komposition „Duende“.

Auch wenn der Sinn des Titels „Weiße Schatten“ im Dunkel bleibt, so strahlt diese CD umso klarer Energie und Lebensfreude aus, erfüllt hohe musikalische Ansprüche und stellt zugleich einen bedeutenden Beitrag zum Kapitel „Die Flöte im Jazz“ bei.

Text: Dietrich Schlegel

Weitere Informationen: www.jinjim.com; www.actmusic.com

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