Finnischer Frauenschwarm am Cello
Mehr als drei Reihen vor der Bühne voll besetzt mit jungen Frauen und Mädchen. Auf einige Besucher des Jazzclubs im Leeren Beutel wirkte das so irritierend, dass sie sich fragten, ob sie beim richtigen Konzert gelandet waren. Der Blick auf die abgedunkelte Bühne mit mehreren Keyboardpults, Schlagzeug und an die Säule gelehnte E-Gitarre schien dann doch vertraut. Und als Clubchef Winnie Freisleben mit begeisterter Stimme den Auftritt der finnischen Band „Oddarang“ ankündigte, waren Zweifel vorerst beseitigt.
Zentnerschwere, mächtige Sounds füllten den Raum und verbreiteten eine Stimmung zwischen epischer Wucht und sakraler Erhabenheit. Wie Signale aus einer fernen Welt hallten vereinzelt helle Schläge von Olavi Louhivuoris Drumset durch diese Klangwälle und ließen aufhorchen. Louhivuoris präzises und vielgestaltiges Spiel bildete so etwas wie den Nucleus der elegischen Klangwelt zwischen Ambient, Rock, Folk- und Jazzeinflüssen. Aus der E-Gitarre Lasse Sakara flatterten sirrende und zirpende Töne und gaben zu verstehen, dass es noch etwas anderes als Düsternis und Schwere in dieser Musik gibt. Nach einem Wechsel von Schlagzeuger Louhivuori ans Keyboard folgte ein Triopart mit Posaunist Ilmari Pohjola und Osmo Ikonen am Cello. Dieser brachte einen fast zum Schluchzen, so schmerzvoll schön und traurig klang dieser zweite Abschnitt der Komposition „Mass I-III“.
Inzwischen waren in den vorderen Reihen mindestens ein Dutzend Handys und Kameras auf den Cellisten gerichtet, um jede Bewegung und jeden Ausdruck digital festzuhalten. Das Rätsel um dieses scharenweise ungewöhnliche Verhalten löste sich in der Pause, als Jazzclub-Managerin Ulrike auf Nachfrage lachend aufklärte, dass „Osmo“ auch in einer erfolgreichen finnischen Rockband spiele, die bereits mehrere Chartserfolge zu verbuchen hatte. Höhepunkt der schwärmerischen Hingabe und Treue war nach dem Ende das Auftritts eine halbstündige Belagerung des gut aussehenden, blonden Musikers, um für Selfies und Autogramme anzustehen. Einige der jungen Frauen waren bis zu 400 Kilometer angereist, um ihrem Idol so nahe zu kommen.
Für den Club war das Konzert aber nicht nur wegen des erfreulichen Besucher(-innen)-Andrangs ein Erfolg, sondern auch in ästhetisch-künstlerischer Hinsicht ein Ereignis. Gehören doch Konzerte heftigerer Art aus stilistischen Grenzbereichen eher zu den seltenen Ereignissen im eher gesitteten Jazztempel. In der musikalischen Substanz durchaus nicht eindeutig einschätzbar, stehen die Finnen allerdings in einer längeren Tradition grenzüberschreitender, pathetischer Popularmusik mit der sich Eindruck schinden lässt. Großartig!
Text: Michael Scheiner
Info: editionrecords.com/artists/oddarrang/