Junger Sound am Pfingstwochenende auf dem Inntöne Jazzfestival in Diersbach

Es war eine Ratlosigkeit auf Gegenseitigkeit. Denn so wie auf der einen Seite Teile des Publikums mit der Welle der geballten, ein wenig exaltierten Urbanität überfordert waren, die ihm von den Bühne aus entgegen brandete, so fragte sich auch Kamari Washington und sein siebenköpfiges Tourneeteam, wie um alles in der Welt sie in diese Scheune mitten im ruralen Nirgendwo Europas geraten waren. Alle trugen es mit Fassung, schnell wurde auch Spaß daraus, bis hin zu einem zweistündigen Festivalfinale mit reichlich kollektiver gestaltender Wucht. Trotzdem zeigte das Konzert auch die Grenzen der Inntöne, nicht nur vom technischen Aufwand, der getrieben werden musste, sondern auch von den Vereinbarkeiten von persönlichem Geschmack und ungewöhnlichem Ort, an dem er ausgelebt werden kann.

Denn der künstlerische Kopf hinter dem Programm, der Posaunist, Kulturmanager und Bio-Bauer Paul Zauner, räumt mit vielen Helfern aus dem Innviertel einmal im Jahr den Buchmannhof zu Diersbach aus, um ein intuitive wie eklektische Mischung präsentieren zu können. Auch diesmal standen wieder Projekte auf der Scheunenbühne, die einen ebenso jungen Sound wie kreativen und stellenweise politischen Nachdruck vertreten, mit dem sie ihre Botschaft vermitteln. Bands wie zum Beispiel die Sons Of Kemet, deren Ansage deutlich gegen das Kreativitätsmonopol der alten Garde geht, auch gegen politische, auf Rassismus gründende Strukturen, die sie mit einer Mixtur aus Energieentladung und multiethnischem Stilgemenge hinwegwischen. Oder Projekte wie „Transcendence“ des Schlagzeugers Jaimeo Brown, der seine improvisierende Black Music mit einer Videoprojektion voller Symbole für die Schönheit der Natur und die Perspektive spirituellen Menschseins verkleidet. Es gab der Jazz der alten, ehemals avantgardegeprägten Schule à la David Murray oder Bobby Watson, die sich auf das Amerika der afroamerikanischen Väter beziehen. Es gab europäische Komplexitätshymnen wie die autoreferentiell mit dem eigenen Abstraktionskosmos jonglierende Musik der Saxofonisten Anna Lena Schnabel, aber auch im Verbund mit anderen kommunizierende Bands wie das kraftvoll groovende Trio des Saxofonisten Soweto Kinch oder die klassischen Moderne des Saxofonisten Julian Siegel.

Stimmen sind Paul Zauner darüber hinaus wichtig, diesmal zu Beginn der Inntöne mit der gerade auf dem Sprung zur Karriere stehenden jungen Sängerin und Songwriterin Alexis Morrast, die bereits mit 16 Jahren mehr Chuzpe hat als mancher langgediente Star. Oder auch mit der soulig swingenden Chanda Rule aus Chicago, die mit wie Entertainmentkomptetenz den Glamour am Heuboden aufleuchten lässt. All das passte mehr oder weniger perfekt in das pointiert improvisierte Ambiente dieses ungewöhnlichen Festival. Nur Kamasi Washington landete von einem anderen Stern im Sauwald. Sein weitab vom herkömmlichen Jazzdiskurs funktionierendes System aus spirituellem Pathos und instrumentaler Ekstase hat seine Wurzeln mehr im Hip Hop und in der urbanen Black Music als im Jazz und ist von der ganzen Haltung und Präsentation eigentlich eine Musik für die Nerds der Großstadt, die sich ein wenig intellektuellen Eskapismus gönnen. Diese Asymmetrie der Vorstellungswelten zwischen Diersbach und Los Angeles allerdings haben er und seine Musiker verstanden und sich daher auf ein Power-Konzert eingelassen, das mit viel bekanntem Material vor allem den Energieaspekt der Musik feierte. Denn die Inntöne sind ein bodenständiges Festival. Sein Publikum ist offen für alles, hat aber die Vorlieben einer Agrar-Bohême, der die Attitüden des Städtischen herzlich egal ist. Washington & Co habe sich dem angepasst und deshalb war es ein fulminantes Finale, auch wenn zwei Welten miteinander kollidierten.

Text: Ralf Dombrowski

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