Von Helsinki ist es nicht weit nach Espoo. Man kann sogar mit der neu gebauten S-Bahn fahren, es müssten also von allein genügend Zuhörer kommen, wenn in der Nachbarschaft der Hauptstadt Musiker wie Ambrose Akinmusire oder Bobo Stenson zu Gast sind. „Es ist trotz allem eine Herausforderung“, meint Matti Lappalainen, der Anfang des Jahrzehnts die künstlerische Leitung des April Jazz Festivals von seinem gleichnamigen, aber nicht verwandten Vorgänger übernommen hat. „Wir wollen die Säle natürlich voll bekommen, und daher versuche ich, eine Mischung von internationalen Musikern und Künstlern aus Finnland hinzubekommen, die viele Menschen interessiert“. In diesem Jahr jedenfalls kann er sich nicht beklagen. Der Großteil der Konzerte, die er für die 32. Ausgabe des April Jazz auf das Programm gesetzt hat, waren ausverkauft. Ein wenig kann er sich also zurücklehnen, denn das Konzept der Stil-Mixtur von Modernität, Popularität und heimischer Verwurzelung ging auf.
So kam zum Beispiel die britische Sängerin Laura Mvula in die Stadt und füllte den großen Saal des Kulturzentrums mit einer minimalistisch arrangierten Variante von Soul, die der Musik trotz scherzender Ansagen zu viel Ernst verhalf. Der Pianist Iiro Rantala traf sich mit dem Bassisten Dan Berglund, dem Schlagzeuger Magnus Öström und der Tapiola Sinfonietta und brachte das Widmungsprogramm „E.S.T. Symphony“ mit viel Emphase auf die Bühne. Der Gitarrist Marc Ribot dekonstruierte mit Ceramic Dog zuverlässig die Normalität jazzrockigen Triospiels, während der Pianist Bobo Stenson so entspannt wie schon lange nicht mehr mit seinem langjährigen Trio zwischen vielschichtig ineinandergreifenden Kompositionen und präsentem Spielspaß pendelte. Viele der finnischen Projekte bezogen sich inhaltlich, stilistisch oder auch in beidem auf die eigene Jazz- und Pop-Vergangenheit, wie etwa das frei lärmende Quintett des Gitarristen Raoul Björkenheim, das im EMMA-Museum für moderne Kunst zwischen schalkhaftem Free-Getöse und wuchtigen Gitarren-Saxofon-Ausbrüchen vermittelte. Das Trio des Saxofonisten Mikko Innanen wiederum folgte im Naturmuseum Haltia im Stil der postmodernen Spätachtziger der finnischen Folklore und deutete manches Volkslied aus der Perspektive schrullig improvisierenden Musikantentums.
Vor allem an zwei Momenten jedoch griffen die Ansprüche besonders stimmig ineinander. Denn der New Yorker Trompeter Ambrose Akinmusire erklärte nicht nur in einer Clinic die Hintergründe seiner auf philosophisch-emotionaler Reflexion basierenden Kunst, sondern stellte sie auch im Konzert im kleinen Saal ‚Café Louhi‘ vor. Sein zwischen Polyrhythmik, Klangschichtung und kontrolliertem Flow changierendes Quartett dokumentierte eine Facette zeitgenössischer Darstellungskompetenz, die bei aller Komplexität die Intellektualität zugunsten des energetischen Augenblicks hinter sich zu lassen verstand. Das Ilmiliekki Quartet um den Trompeter Verneri Pohjola schließlich verkörperte punktgenau die Idee von April Jazz. Stilistisch modern auf kammerjazziger Basis, musikalisch ausgewogen zwischen Elementen der Konzentration und Entspannung, geschichtlich verankert in der finnischen Szene und zugleich international ein Begriff, flogen der Band im Sellosali die Sympathien des Publikums nur so zu. So kann Matti Lappailainen zufrieden sein mit April Jazz 2018 – und sich an die Arbeit machen, um im folgenden Jahr wieder eine ähnlich konzise Mischung nach Espoo zu holen.
Text: Ralf Dombrowksi