„Love & Peace“, das liest sich wie Hippietum und Happening oder steht für esoterische Erleuchtungsrituale. Zutaten also, die bei vielen Menschen Abwehr- oder gar Fluchtreaktionen auszulösen imstande sind. „Love & Peace“ steht aber auch für das Festival auf Fehmarn, bei dem Jimi Hendrix seinen letzten Festivalauftritt hatte, und ist – wie so vieles andere – längst zu einem glatt gebügelten Marketingbegriff verkommen.
Es ist anzunehmen, dass dem gebürtigen Leipziger Joachim Kühn, der in den wilden 60er Jahren „rübergemacht“ hat, diese Umstände bewusst sind, als er sein neues Album mit eben diesem Begriffspaar überschrieben hat. Hat er, Jahrgang 1944, doch selbst Wurzeln in dieser Zeit, die heute so fern erscheint. Weit weniger fern erscheint dagegen der semantische und erst recht der emotionale Gehalt dieser Phrase – dem heute ein größeres Gewicht zukommt als vor einem halben Jahrhundert. Wohl deshalb überbrückt Kühn den Raum zwischen heute und gestern und stellt – nach dem 2016er Erstling „Beauty & Truth“ – im zweiten Kapitel mit seinem „New Trio“ die überfällige Verbindung her. Eines fällt dabei ganz besonders auf: Kühn klingt wie Kühn, aber gleichzeitig auch anders als gewohnt. Unter seinem erstaunlich entspanntem Zugriff klingt das Love & Peace-Album spürbar ruhiger, gelassener, man könnte sogar sagen altersweiser, als alles, was man sonst von ihm kennt. Zwar gibt es noch erregend zuckende und hemmungslos schweifende Momente, doch sie sind rar. Hinter manchmal fast andächtig gefassten Stimmungen und anmutig gestimmten melodischen Fantasien treten sie deutlich zurück. Drummer Eric Schaefer und der kanadische Bassist Chris Jennings begleiten die pianistischen Exkursionen durch „Le Vieux Chateau“, durch das alte Schloss von Modest Mussorgsky, „Barcelona (und) Wien“, ein zweites „Lied ohne Worte“ und Ornette Colemans „Night Plans“ unaufdringich groovend, akzentuieren mit Feingefühl und lässiger Nonchalance. Kühn bezeichnet die beiden als sein neues Traumteam und genauso kommt einem das Zusammenspiel auch vor. In „Mustang“, eine von acht Eigenkompositionen Kühns, spürt man förmlich das Auf-und-Ab eines Ritts durch die Weite des mittleren Westens – es klingt fast wie ein vergnügt gepfiffener Song über Country-Land.
Kühn knüpft aber auch ganz real an die Zeit des „Love & Peace“ an, wenn er eines der magischen Stücke von den Doors spielt. „The Crystal Ship“ gehört zwar nicht zu den ganz berühmten Songs. Es geht darin um Liebe, ganz banal, aber vor allem auch um Freiheit und damit trifft es den Nerv bei dem Pianisten, dem die eigene Freiheit und sein künstlerischer Ausdruck immer wichtiger war als alles andere. Trotz des eher ruhigen Eindrucks den das Album macht, es tauchen auch immer wieder dichte, schnelle Momente auf, hart und präzise konturierte Klangbilder, in die sich Dissonanzen mischen und – feiner Humor, gut dosiert und mit einem Lächeln ausgespielt. Fast eine Neuentdeckung – nicht nur für mild gewordene alte Achtundsechziger und Konsorten! Im Juli bekommt der 74-Jährige übrigens zusammen mit seinem älteren Bruder Rolf Kühn die für Jazzverhältnisse hochdotierte „German Jazz Trophy“ in Stuttgart verliehen.
Joachim Kühn New Trio, Love & Peace, Act 9861-2 (Edel, 2018)
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