Jazz ist eine globale Kultur – und das setzt umso wichtigere Signale, wo heute doch wieder die geistige Kleinstaaterei verhängnisvolle Vormärsche antritt! Eine lebendige Kunstform der Gegenwart braucht keine Ikonen oder hochglanzpolierte große Namen, um eine Bühne mitreißend zu bespielen. Das weiß auch das Publikum beim Jazzfestival in Münster, welches dem künstlerischen Leiter Fritz Schmücker jedes Jahr aufs Neue vertraut. Das zahlte sich einmal mehr aus bei der „kleinen“ Festivalausgabe „jazz in between“, wo sich drei Bands zu einem farbenreichen musikalischen Dreiklang vereinten – drei mal anders und drei mal neu! Da zeigt sich Eric Schaefer nicht nur als mit allen Wassern gewaschener Schlagzeuger, sondern auch als Denker und Lenker, der seine Rolle im Ensemble sehr weit definiert. So etwas stachelt die Pianistin Ulrike Haage, den Bassisten Oliver Potratz sowie einen bemerkenswerten Klarinettisten namens Kazotoki Umezu zu ganz viel intensiv gelebter musikalischer Fantasie an. Um Japan geht es also. Schaefer und seine Band sind bei einem Aufenthalt intensiv in die dortige Kultur eingetaucht, und Umezu liefert auf seinem Klarinettenspiel in dieser Band gewissermaßen eine Primärquelle. Aber diese Musiker aus Europa und Asien sind viel zu sensibel und respektvoll, als dass sie sich hier nun in platte Einverleibungen versteigen würden – stattdessen geht es um einen freien, sehr subjektiven Ideenfluss von hoher imaginärer Kraft, der oft regelrecht impressionistisch wirkt. Das Publikum fühlte sich weggetragen und entrückt.
Teil zwei des Abends lässt etwas ganz anderes vergessen: Nämlich alle Klischeevorstellungen, dass Jazz elitär, gar esoterisch oder etwa verkopft daherkommt. „Mopo“ heißt ein schräges finnisches Trio, das sich nach dem motorisierten Zweirad nennt, welches die Saxofonistin Linda Fredriksson fährt. Und Linda Frederiksson spielt sich auf der Bühne auf ihren Hörnern die Seele aus dem Leib, wechselt mühelos die Register zwischen rotzig-funkigen Licks und freejazzigen Flagolett-Himmelsstürmen, lässt in tief lyrischen Parts kein Auge trocken bleiben – und spielt über längere Strecken ihr Altsax und ein tief sonor klingendes Baritonsax sogar gleichzeitig! Man mag hier an den großen Mangelsdorf denken, der auf einer einzigen Posaune eine eigenwillige Polyphonie erzeugte – auch das erneuerte schon mal den Jazz zu einem Zeitpunkt, wo diese finnische Spielerin mit dem schwedischen Namen noch gar nicht geboren war. Was Linda Frederiksson sowie Eero Tikkanen am Bass und Schlagzeuger Eeti Nieminen dem Jazz in heutigen Tagen zurück geben: Eine rohe, ungeschliffene Direktheit gepaart mit einer Livepräsenz, die jeder Punkband das Wasser reichen könnte! In Finnland selbst ist „Mopo“ längst eine Kultband, deren Vinylplatten reißenden Absatz finden. In Münster hauen sie ihrem Publikum Soundbretter um die Ohren und geizen auch mit schrägen, manchmal dadaistischen Einlagen nicht. Hoffentlich reisen die drei bald wieder aus dem hohen Norden in hiesige Gefilde an!
Der Pianist Vadim Neselovskyi ist typisch für musikalisches Weltbürgertum: Geboren in der Ukraine und später im Ruhrgebiet groß geworden, lebt er heute in New York. Und solche Bezüge berühren sich beim dritten Programmteil des Abends in seinem atemberaubenden Klavierspiel: Nämlich ein klassisch-romantisches Erbe, sensibel kultivierte Bezüge aus der Kultur seines Heimatlandes und die höchste Kunst des Jazz, die Neselovskyi mit hohem Respekt vor der Historie in New York sozusagen direkt an der Quelle erfährt. All das lebt in seinem Spiel auf, wird noch in Triobesetzung durch seine Mitstreiter, den Bassisten Dan Loomis und Ronen Itzik an den Drums verstärkt und weiter getragen. Großes Hörkino legt der Pianist gleich zu Anfang hin, wo er eine fast viertelstündige Ouvertüre alleine spielt. Da leben Stilzitate, die von Chopin, Skrjabin oder Bach kommen könnten, die aber 100% Neselovskyi sind. Nicht ohne Humor und mit immer neuen, verblüffenden Wendungen. Dann öffnet sich das Fenster –Bahn frei für ungezügelten Vorwärtsdrang dieser Band, die auch schließlich den begeisterten Forderungen nach etlichen Zugaben dankbar nachkam!
Text: Stefan Pieper