Es kommt wie es kommt. Oder anders. Ich plädiere ja für etwas Schlimmeres als die Jazzpolizei, nämlich das Jazzordnungsamt. Die mag niemand und noch weniger! Sie hat weniger Vollmachten und ist in der Regel deshalb noch unbeliebter. Knöllchen für Parkzeitüberschreitung. Dabei bringt reine cline-ische Sauberkeit nun auch nichts. Also: Das Jazzordnungsamt hat festgestellt: Nels Cline – meeeeh; Dr. Lonnie Smith: jeeeeeh. Lassen Sie und über Konserven reden und über frisch am Tisch Zubereitetes.
Nels Cline Lovers – Einerlei
Meeeeeeh. Eine Art Konzert für Sologitarre mit erweitertem Ensemble (unter anderem mit Fagott, Englischhorn, Violine und Violoncello). Dieses wurde von „aufstrebenden“ Musikerinnen wohl aus Berlin gestellt. Circa 10 Nummern, nicht unpfiffig arrangiert, die Musikerinnen alle gut. Aber doch immer der ähnliche Ablauf. Egal ob es sich im Bearbeitungen von Billy-Holiday-Nummern oder ein Stück aus eigener Hand oder eines von Sonic Youth handelte. Ein bisschen gerne nach der Methode „Wir bauen eine Stadt“ aufgebaut. Im Gegensatz zur Aufnahme auf CD von Cline nicht so angenehm deprimierend. Eher so softsülzig. Dirigent Michael Leonhart schlägt präzise den Takt, was auch nötig scheint.
Präzision ist in diesem Falle alles. Minimale „Fehler“ stören den Kompositionswillen – live ist das also kaum zu realisierbar, was Nels C. Cline probiert. Und die Möglichkeit aus den „Fehlern“ Funken zu schlagen, ist nicht vorgesehen. Nicht, dass die jungen Musikerinnen das nicht können würden. Doch der Moment ist unbarmherzig. Die kleinsten abweichenden Kleinigkeiten haben zur Folge, dass es nicht ganz so locker-lässig herüberkommt. Es gibt keine zweite Chance.
(Alle Fotos: © Petra Basche, HuPe-kollektiv)
Aber mal die Kirche im Dorf lassend. Ein umwerfend gutes Schlagzeug: Alex Cline. Was bei der NDR-Bigband zum Trauerspiel geriet, ist hier ganz famos an die Stücke angepasst. Gleichwohl blieb das alles gehemmt, fand den Weg nicht heraus aus dem Einerlei-Klang. Schade, ein bisserl wie lauwarm aufgewärmte Ravioli aus der Konserve. Aber verschmerzbar.
Dr. Lonnie Smith Trio – Viel ist viel
Zweierlei: Stimmungsaufheller, magische Momente. Richard Willams, der künstlerische Leiter des Jazzfest Berlin 2017 probierte es mit der launigen Ansprache: „Ein Jazzfest ohne Hammond-Orgel sei wie eine Bratwurst ohne Currysauce.“ Das Jazz-Ordnungsamt ruft zur Ordnung. Aber Recht mag Williams haben. Mindestens nach dem Auftritt des Jazzdoktors Lonnie Smith in seinem Trio. Heiße Würzung, Livehitze – kochend. Es war Spaß!
Dr. Lonnie Smith beherrscht sein Instrument und die hörenden Massen im Festspielhaus der Berliner Festspiele. Schon die Aufstellung der Musiker in einer Reihe, die heilige Jazz-Dreifaltigkeit umsetzend, war ein Zeichen. Zur linken Hand der Gitarrist Jonathan Kreisberg, zur rechten Hand Xavier Breaker an den Drums. In der Mitte der Meister: Dr. Lonnie Smith mit Sampler und Hammond Orgel.
Es tut mir leid. Aber das hat gewuppt. Das ging ab, das hatte Spirit, das hatte Wucht, das war mitunter irre. Lonnie Smith am seiner Hammond Orgel zelebriert seine Musik und als Doktor hat er die Medizin in seinen Tönen. Lahme werden gehend, Taube hörend, Blinde sehend. Das Instrument traktiert er wie einen lebendigen Organismus. Ja, es ist eine Verlängerung der Sprache ins Instrument: es kreischt, zischt, rumpelt, brodelt, es spricht mit Leslie-Effekten wie ein Mensch. Das geht mit keinem Instrument so gut wie mit einer Hammond-Orgel. Gewiss, es gibt diese Licks, die immer schon funktioniert haben, aber eben nur auf der Hammond-Orgel – warum also nicht. Die musikalische Currysoße wurde schärfer und schärfer. Die Bratwurst dahinter ahn- und schmeckbar und durchaus fein gehört und durchgekaut wie bei „Straight no chaser“. Aber, mein Gott, wen interessiert so ein bisserl „motivische“ Arbeit, wenn man Wasser in Wein verwandelt; oder um im Bild zu bleiben: Ketshup in würzigscharfe Currysoße.
(Alle Fotos: © Petra Basche, HuPe-kollektiv)
Ebenso der großartige Gitarrist Jonathan Kreisberg mit lebendigsten Soli (und im Wahwah ebenso in menschelnde Sprache sich wandelnd), der Schlagzeuger Xavier Breaker, der anfangs wie ein brav-guter Begleiter wirkte, dem aber im Laufe des Sets immer mehr Raum bereitgestellt wurde, den er auch zu nutzen wusste – auch im Kontrast zu des Doktors Musikalisierung seines Gehstocks – ein Showeffekt, aber wirkungsvoll. Alder, was geht? Klar, ein Sampler mit einem kleinen Jazzorchester zuzüglich gedämpfter Trompete in „Alhambra“. An anderer Stelle dann geradezu musikalische Liebesgrüße, die die Lovesongs von Cline in dessen Konzeption quasi kaltstellte.
Mitreissend, umwerfend. Die Temperatur im Konzertsaal stieg bei dem sonst so akkurat gemäßigten und kontrollierten Publikum um ca. 0,8 Grad Celsius im Mittel. Wenn das nix ist?
Wahrlich ich sage Euch: Esst mehr Currywurst auf die Rezepte von Dr. Lonnie Smith. Wahrlich ich sage Euch: Es gibt noch ein Leben nach dem Ende des Jazzordnungsamtes. Preiset die Hammond-Orgel.
Conclusio
- Magenbitter
- Knöllchenblätterpilz
Die Musikerinnen und Sets
Nels Cline Lovers
- Nels C. Cline guitar
- Michael Leonhart trumpet, conductor
- Alex Cline drums
- Devin Hoff electric bass
- Anna Viechtl harp
- Martin Klenk cello
- Dmytro Bondarev trumpet
- Florian Menzel trumpet
- Rasmus Holm trombone
- Maria Reich violin
- Heidi Mockert bassoon
- Fynn Großmann english horn
- Marc Doffey clarinets
- Hauke Renken vibraphone, marimba
- Tomek Sołtys celeste
- Morten Duun Aarup guitar
Dr. Lonnie Smith Trio
- Lonnie Smith Hammond organ
- Jonathan Kreisberg guitar
- Xavier Breaker drums