… und es gibt Tage, da ist man gerne als Kritiker unterwegs. Denn es gibt viel Schönes zu berichten. Von einer Preisträgerin und von einem grandiosen Klaviersolo. Angelika Niescier auf der einen Seite im Trio mit Tyshawn Sorey (dm) und Chris Tordini (b). Ja, den beiden aus dem gestrigen Trio. Aber was für ein Unterschied nun. Danach ein 65-Minuten Klaviersolo von Michael Wollny, das komplett die Zuhörerinnen in den Bann schlug. Doch der Reihe nach.
Albert-Mangelsdorff-Preis der UdJ an Angelica Niescier
Alle zwei Jahre wird dieser von der Union der Jazzmusiker (UdJ) seit 1994 dieser „Deutsche Jazzpreis“ in zweijährigem Turnus verliehen. Dieses Jahr ging die Auszeichnung an die Saxophonistin Angelika Niescier, die, wie man so sagt „umtriebige“, ruhelose Musikerin am Saxophon, Kuratorin, Komponistin, Arrangeurin, Pädagogin, Aktivistin. Reihenfolge mag man umstellen wie man möchte, im Zentrum steht jedenfalls sie selbst mit ihrem Instrument und ihren Auftritten.
Die UdJ erkannte ihr den Preis im Wert von 15.000 Euro also zu. Ein Preis, vergeben von einer unabhängigen Fachjury, finanziert von Deutschem Komponistenverband, GEMA und GVL. Ganz im Gegensatz zum fragwürdigen und inhaltsleeren Medienereignis des ECHO Jazz, der mehr die Würgung der Kunst als ihre Würdigung im Zentrum hat. Im Jazzfest ist der Albert-Mangelsdorff-Preis nun auch endlich angekommen mit einem eigenen Konzert und mit Grußworten und Laudatio (wunderbar von Thomas Krüger, dem Präsidenten der Bundeszentrale für politische Bildung, zum besten gegeben) im großen Saal. Ein würdiges, ein adäquates Ambiente, wenngleich der Ablauf der Veranstaltung selbst noch verbesserungswürdig ist.
(Alle Fotos © Petra Basche, HuPe-kollektiv)
Das sich daran anschließende Konzert des Trios mit Tyshawn Sorey und Chris Tordini: Grandios. Niescier spielt wie sie redet: Rasant! Krasse Kompositionen ohne Effekthascherei. Hier kongenial ergänzt durch einen Sorey am Drumset, der im Gegensatz zu gestern an der Musik klebte, sie in sein Drumset verlängerte. Und der mit einer Wachheit agierte, die ihn nicht zum Gefolgsmann werden ließ, sondern antizipatorische Züge in Spielweise und -freude trug. So war das Trio immer in der Gleichzeitigkeit, gleichberechtigt – gefühlt im produktiven Freund/Feind-Verhältnis. Mal pulsierte und rumorte es, mal rissen sich die Musikerinnen die Linien aus den (akustischen Fingern). Die Musikerinnen setzten sich permanent unter Druck. Ein andauerndes Feedbackgefeuere ohne Übersteuerung. So kann es gehen. Niemand ahnungslos, alle gefangen.
Auch hier – natürlich in einer ruhigen Phase – klingelte ein Smartphone. Doch niemand nahm davon eine verärgerte Notiz. Weder die Musikerinnen, noch die Zuhörerinnen. Die Energie bündelte sich, sie stieb wieder auseinander. Und mitten drin die drei Musikerinnen. Ein umwerfender Auftritt. Wir gratulieren! Angelica Niescier ist eine verrückte, hochsympathische, mitreißende Preisträgerin und ein Sonnenschein von Mensch, die man nicht für ihren Auftritt eigens in die Maske schicken muss; dies noch einmal in Richtung ECHO Jazz geworfen. Da weiß man, woher der Wind weht.
Nebensonnen – Michael Wollny solo
Es tritt danach auf die Festpielhaus-Bühne beim Jazzfest Berlin 2017 Michael Wollny. Und greift sofort in seinen Flügel hinein, schlägt die Saiten mit den Händen. Zaubert sich ein Klanggebilde zusammen in das er dann sein Spiel an den Tasten einfügt bis dieses sich selbständig macht. Es folgen gut vierzig Minuten kaleidoskopartige Passagen durch Klaviertechnik, Musikgeschichte. Eine Abfolge von Paraphrasen über mehr oder minder bekannte Musik- und Spielstile. War da nicht ein „Dies Irae“ irgendwo angedeutet. Oder hat es da geluthert? Obwohl, nein, keine Paraphrasen, Metaphrasen sind es – oder, ja, beides: Musik in Musik über Musik in Musik.
Eingewoben in ein harmonisches Spektrum das Ganze, bei dem sich reine aber querende Durakkorde überlappen, Mixturen an Klangvorstellungen von Satie oder Debussy erinnern – wenn einem das zur akustischen Beschreibung helfen mag. Dazwischen mal ein extremes Grollen in den tiefen Registern, aber auch Passagen, bei denen die Hände wie Fledermäuse über die Tasten flattern, sich selbst jagend.
Mir stellte sich das manchmal dar wie die Begleitung eines „Mad Professor“ zu einer Lichtspielszene, also zu einem ebenso irren Film. Fehlte eigentlich nur, dass aus dem Flügel selbst Licht entfleuchte. Aber das hätte keine Chance gehabt, dem Handwerk Wollnys zu entkommen. Er hat alles begriffslos im Griff.
Wer sich davon nicht mitnehmen ließ? Ich hatte den Eindruck: Niemand. Es war mucksmäuschenstill, kein Hüsteln irgendwo und das war auch nötig, denn es gab zahllose Stellen im pianissimo. Klavier übrigens unverstärkt, raumfüllend selbst in den leisesten Passagen, musikalische Präsenz pur.
Es ist schon fast nicht unmutig, Wollny das Podium anzubieten. Er macht fast alles zu musikalischem Gold. Und es blieben ihm ja noch 20 Minuten Spielzeit übrig, die er mit seiner Version der Schubertschen „Nebensonnen“ füllte.
Drei Sonnen sah ich am Himmel steh’n,
Hab‘ lang und fest sie angeseh’n;
Und sie auch standen da so stier,
Als wollten sie nicht weg von mir.Ach, meine Sonnen seid ihr nicht !
Schaut ander’n doch ins Angesicht !
Ja, neulich hatt‘ ich auch wohl drei;
Nun sind hinab die besten zwei.Ging nur die dritt‘ erst hinterdrein !
Im Dunkel wird mir wohler sein.
Man möge mir nachsehen, dass ich, ob dieses musikalischen Magnetismus‘, nicht mehr zum Notieren kam und mich ausnahmsweise einfach in die Rolle des Echtzeitzuhörers flüchtete. Ich antworte und grüße zurück mit Paul Celans „Fadensonnen“:
Fadensonnen über der grauschwarzen Ödnis.
Ein baumhoher Gedanke greift sich den Lichtton:
Es sind noch Lieder zu singen
jenseits der Menschen.
Ergänzend: Wollny mit einer Zugabe von knapp fünf Minuten, in das er den ersten Satz aus Einojuhani Rautavaaras „Cantus Arcticus“ irgendwie einband.
Nachschlag
Und ebenso mag man es nachsehen, wenn eine Fortsetzung des Abends musikalisch mir nicht angeraten schien. Ambrose Akinmusire mit seinem Ensemble wird es sicher verschmerzen. Die Eindrücke, die ich dann am Radio davon empfangen konnte waren zumindest weniger überzeugend. Sicher eigen, sicher teils bluesgesättigt, aber auch unentschieden im Nichtsogutgemachten, Nochnichtganzfertigen landend. Aber das wäre jetzt eben auch einfach nicht fair, diese Eindrücke für das Ganze zu nehmen.
Überhaupt soll man in Distanz zu den hier verfassten Kritiken bleiben. Sie sind Kritikersprech, sie sind im Vertrauen auf die eigenen Ohren und das, von dem man vermutet, es sitze dazwischen, gefertigt.
Keine Conclusio
- Doch.
- Niescier und Wollny.
- Glück.
Die Musikerinnen des Abends
- Angelika Niescier saxophone
- Tyshawn Sorey drums
- Chris Tordini double bass
- Michael Wollny – piano solo
Schön, wenn über ein Jazzfestival so Ausführliches zu lesen ist. Ich wundere mich aber sehr, dass der Berichterstatter ausgerechnet dasjenige Konzert ausließ, das neben den Auftritten des Artist in Residence, Tyshawn Sorey, das wichtigste eigene Projekt dieses Festivals war: Ambrose Akinmusires Hommage an die Blues-Sängerin Mattie Mae Thomas. Und auch vom musikalischen Ergebnis her stand für mich nach dem Konzert fest: Wenn es Konzerte bei diesem Festival gab, die man auf keinen Fall auslassen durfte, dann gehörte dieses in die allererste Wahl. Seltsam, solch ein Ereignis so lakonisch mit ein paar Worten abzutun, während man in anderen Fällen das Leserpublikum geradezu mit Sätzen überschwemmt.
Lieber Roland Spiegel, das ist in mehrfacher Hinsicht ein etwas fader Vorwurf. Textschwemme ist das eine, Repetition das andere. Schaut man sich Erwähnungen des genannten Konzertes bei anderen Autoren an, so könnte man zu dem Resultat kommen, dass eben gerade die ablaufende Musik von Ambrose Akinmunsire wenig thematisiert worden ist, obwohl die Kritiker im Konzert saßen. Vor allem die Vorgeschichte und das verwendete Material wurde nacherzählt. Wenig aber zum musikalischen Umgang damit. Hier ein paar Beispiele – Ausnahme Ulrich Stock:
„Mit seinem Sextett präsentierte er die Auftragssuite „Mae Mae“. Die erste Mae ist Mattie Mae Thomas, eine in Parchman Farm, dem Staatsgefängnis von Mississippi, inhaftierte Afroamerikanerin. Dort nahm sie ein Musikwissenschaftler 1939 mit kraftvollen Bluesgesängen auf, die Akinmusire als Ausgangsmaterial einer ebenso elegischen wie bürgerrechtlich engagierten Kunstmusik nahm, die er einer zweiten Mae aus Mississippi, seiner Großmutter, widmete.“ (Tagesspiegel, Gregor Dotzauer, http://www.tagesspiegel.de/kultur/bilanz-jazzfest-berlin-in-vielen-zungen-redet-es-sich-leichter/20548266.html)
„Der Auftritt zollt der unbekannten Frau Respekt und geht zugleich respektlos mit ihr um – über anderthalb Stunden, in denen die Zeit stillsteht und über weite Strecken leider auch die Dramaturgie. Hinterher mag man über Idee und Umsetzung diskutieren, währenddessen ist es recht langweilig. Hier zeigt sich eine Schwäche des Jazzfestes, die es mit anderen ambitionierten Festivals teilt: Auftragskompositionen, die Geschichte schreiben sollen, kranken oft daran, dass das Budget zum Vorbereiten und Proben dann doch nicht reicht. Vielleicht hatte Akinmusire mehr im Sinn, als es schließlich zu hören gab.“ (Zeit online, Ulrich Stock, http://www.zeit.de/2017/46/jazzfest-berlin-ambrose-akinmusire-jazz)
„Weit dringlicher tönten die Botschaften, welche die beiden Trompeter Ambrose Akinmusire und Amir ElSaffar vermittelten: Ersterer ließ sich von vier emotional berührenden Songs einer in Mississippi inhaftierten afroamerikanischen Frau inspirieren, deren Spuren durch den Lauf der Geschichte verwischt wurden. Akinmusires Sextett übermalt diese immer wieder zugespielten Songs, um dadurch unmissverständlich auf die Diskriminierung der Schwarzen hinzuweisen.“ (FAZ, Reinhard Kager, http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buehne-und-konzert/berliner-jazzfest-15281563-p2.html)
„Und so kam es, dass Akinmusire und seine hervorragend besetzte Band – Gerald Clayton, Klavier, Marvin Sewell, Gitarre, Joe Sanders, Kontrabass, Kendrick Scott, Schlagzeug, und Dean Bowman, Gesang – eine Hommage an Mattie Mae Thomas aufführten. Die klagenden Originalgesänge wurden dabei bisweilen aus dem Off eingespielt – und die soulige Stimme von Dean Bowman führte sie dann in anderer Tonlage kongenial fort. Ambrose Akinmusire legte über das Ganze immer wieder seinen melancholischen Trompetenton, der im Moment weltweit seinesgleichen sucht. So weich und zugleich so klar spielt kein anderer Jazztrompeter. Akinmusire schafft dabei eine Schönheit und Innigkeit des Klangs, die den Hörer vollkommen absorbieren kann.“ (BR – Roland Spiegel, https://www.br-klassik.de/themen/jazz-und-weltmusik/jazzfest-berlin-2017-bilanz-100.html)
Wie gesagt, nur Ulrich Stock geht wirklich substantiell auf die Arbeit selbst ein und nicht auf eine „hevorragend besetzte Band“ (die ja nicht gleichzusetzen ist mit: hat auch toll gespielt), oder was in diesem Zusammenhang eine „kongeniale“ Fortsetzung ist (was macht die „Kongenialität“ denn aus“) sowie eine allgemeine Huldigung von „Schönheit und Innigkeit des Klangs“, „weich und klar“ des Trompeters. Ansonsten gehen die Texte zur Hälfte auf die Quelle der kinisternden Aufnahme von Mattie Mae Thomas ein. So aber klingt es, als ob Akinmunsire auch Trompetenetüden hätte spielen können, die man mit den gleichen Adjetiven belegen kann. Der Zusammenhang zum Stück selbst? Fehlanzeige.
Man kann wirklich nicht unbedingt sagen, die Kritiker hätten hier – trotz Anwesenheit – den Auftritt von Akinmunsire und seinem Sextett kritisch abgebildet (Ausnahme Ulrich Stock). Dessen Verdikt sich mit meinem, das ich aus dem Autoradio mitnahm, weitgehend deckt. Da stellte sich auch der Eindruck ein, es sei noch nicht ganz fertig, das Stück.
Was die „Höhepunkte“ angeht, eine natürlich problematische Kategorie musikalischer Wertungen, so könnte man auch sagen, es seien eher die Duos Ullmann/Sorey sowie Punkt.Vrt.Plastik gewesen, wie der Autor Michael Rüsenberg in Jazzcity sie beschreibt. http://www.jazzcity.de/index.php/jazzpolizei/1991-punktlandung
Nix für ungut. Wenn ich mit den Texten die Leserinnen und Leser überschwemmt haben sollte, so bitte ich um Nachsicht. Ich hoffe, niemand ist ertrunken und hat sich rechtzeitig auf die rettenden Ufer der anderen Kritikertexte gerettet.
Lieber Martin Hufner, die Argumentation anhand der erwähnten Textbeispiele zeigt doch um so deutlicher, wie wichtig es gewesen wäre, dass auch die Jazzzeitung zu dem Konzert von Ambrose Akinmusire ausführlich Stellung bezieht. Es wäre, meine ich, schon ein diskussionswürdiger Gegenstand gewesen. Herzliche Grüße, R. S.
Das mag sein. Es war aber einfach aus Gründen des Schutzes der Gesundheit nicht möglich. Und zweitens schien mir der Hype um Akinmunsire so umfangreich, dass kaum noch eine „normale“ Stellungnahme möglich gewesen wäre. Mir zeigt zumindest, dass kaum etwas Substantielles zu seinem Auftritt geschrieben wurde, dass diese Befürchtung nicht ganz aus der Luft gegriffen sein mochte.
Ich denke, irgendwann wird der Auftritt ja durch die Rundfunkkanäle geschoben werden und dann dürfen sich die Zuhörer und Zuhörerinnen ihr eignes Bild machen. Wann wird der BR denn senden?
Im übrigen glaube ich nicht, dass meine Hörsehanalyse eine größere Bedeutung hätte als die eines jeden anderen Besuchers, jeder anderen Besucherin. :)
Den Sendetermin für dieses Jazzfest-Konzert habe ich noch nicht festgelegt. Er wird auf jeden Fall im neuen Jahr sein. Ich gebe Bescheid, sobald ich ihn weiß. Herzliche Grüße, R. S.
Das ist sehr lieb! Prima.