„Es ist schwierig Vorhersagen zu treffen, vor allem über die Zukunft.“ Was sich wie ein Bonmot aus dem Mund eines schneidigen Kabarettisten anhört, welcher Josef Hader ähnelt, ist ein Ausspruch des amerikanischen Baseballspielers Lawrence Peter „Yogi“ Berra, der 90-jährig vor zwei Jahren gestorben ist. Der in Hongkong und Frankreich lebende amerikanische Saxofonist Joe Rosenberg zitiert auf seinem mittlerweile 15. Album als Leader weitere kluge und bedeutende Leute, wie Steve Jobs und Albert Einstein. Letzterem wird die Sentenz zugeschrieben, dass „für uns der Unterschied zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nur eine Illusion ist, wenn auch eine ziemlich hartnäckige.“
Rosenberg zieht diese Gedanken heran, um Parallelen und Andockpunkte zu seiner künstlerischen Praxis zu verdeutlichen. Das nicht Kalkulierbare, ein grundlegendes Moment des Lebens überhaupt, hat auch für die Musik des 62-Jährigen konstitutive Bedeutung, beruht sie doch auch auf improvisierten Teilen. Dem steht freilich die Aufnahme als reproduzierbares Kunstwerk diametral gegenüber. Denn sie bildet den „gefrorenen“ unveränderlichen Moment ab und könnte damit – nach mehrmaligen Abhören – Ton für Ton vorhergesagt werden. Gewiss ist sich Rosenberg dieses Widerspruchs bewusst und reklamiert die Transzendenz des Unvorhersehbaren dennoch kapriziös lächelnd für sich. Dabei enthält dieses nach einem John-Lennon-Song benannte Album auf den ersten Eindruck weniger Freiräume für Improvisation als ältere Alben Rosenbergs. Neben der Lennon-McCartney-Komposition, die vor allem vom Cello Didier Petits und grellen Akkorden Bruno Angelinis (Piano) vorwärts gepeitscht wird, enthält es die Bearbeitung eines Jaco Pastorius-Stückes, Kompositionen von Ellis Marsalis – „After“ – und des pakistanischen Musikers Ustad Rashid Khan, sowie zwei eigene Nummern des Bandleaders. Den für die damalige Zeit und Aufnahmetechnik reichlich abgefahrenen Beatlessong – vielen klingt er heute noch avantgardistisch im Ohr – aus „Revolver“ behält Rosenberg zunächst rhythmisch und strukturell ähnlich wie das ver-rückte Original bei. Etwa ab der Mitte folgt eine perkussive Überleitung und danach mehrere markante Soli, wobei die Grundstimmung des ungewöhnlichen Popsongs immer durchhörbar ist. Begleitet von erhaben-mahnenden Trommelschlägen endet „Tomorrow Never Knows“ irgendwo im Nirwana. Auch wenn Rosenbergs Version deutlich länger, ausgefeilter und „diskursiver“ ist als das Original von 1966, erreicht es nicht dessen lustvolle Entschlossenheit und hypnotisch-ergetische Konfusion.
Gegenüber dem ruhigen, anfänglich in Khans „Lalit“ gar meditativen Duktus des eindringlichen, gelegentlich pathetischen Albums schlägt „Tomorrow Never Knows“ sogar ein wenig über die Stränge. Die Eigenkomposition „Before“ zelebrieren Piano und Cello mit einer gewissen Erhabenheit, die Raum für freies Spiel lässt. Rosenberg versteht sein mit einem prachtvollen Schmetterling bebildertes Album als Aufforderung für Hoffnung und Optimismus. Seine Musik strahlt bei aller Kantigkeit und punktueller Grellheit Schönheit, eine starke innere Gelassenheit und intellektuelle Verspieltheit aus – eine zuversichtliche Lebensäußerung. Das an sich ist schon großartig, zusammen mit der eindrucksvollen, erlesenen Musik ist es eine kleine Kostbarkeit!
© Michael Scheiner
Joe Rosenberg Ensemble: Tomorrow Never Knows
Quark Records 201724 (BMI, 2017)
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