Heute abend auf 3sat ab 22:05.
Als die hochbegabte Saxophonistin Anna-Lena Schnabel den „Echo Jazz“ 2017 erhält, erlebt sie den prinzipiellen Konflikt zwischen Authentizität und Erfolg im Musikbusiness. Anna-Lena Schnabel wächst in einfachen Verhältnissen auf, dank ihrer Hochbegabung macht sie ihr Abitur mit Eins. Eine sichere Zukunft steht ihr offen, wäre da nicht die Leidenschaft für Musik: Statt Psychologie, Jura oder Lehramt zu studieren, wird sie professionelle Jazzsaxophonistin und möchte nur von ihrer Musik leben. Freunde, Familie, selbst Jazzmusiker warnen sie, denn als Frau hat man es doppelt schwer, sich in der traditionell männlich geprägten Szene durchzusetzen. Dank Stipendien und Preisen läuft es jedoch erstmal, Mitmusiker und Medien sind beeindruckt. So virtuos, facettenreich und vor allem so schonungslos ehrlich gibt sonst niemand sein Innerstes musikalisch preis.
Doch ausgerechnet dieses Markenzeichen steht Schnabel bei ihrem Ziel, vom Jazz zu leben, im Weg – denn ihre Musik ist nicht gefällig und verbiegen lässt sie sich nicht. Als die junge Musikerin 2017 den renommierten Musikpreis „Echo Jazz“ erhält, sieht sie die Chance, mehr Menschen zu erreichen. Denn die Veranstaltung wird im Fernsehen übertragen. Doch die Umstände der Preisverleihung stellen sie vor eine entscheidende Frage: Muss sie Kompromisse eingehen, um von ihrer Musik leben zu können?
Film von Jan Bäumer. Hoffentlich in der Mediathek. [Ja, hier]
Ulrich Stock hat dazu übrigens in der ZEIT ein paar böse Worte verloren. Also nicht zu dem Film, den er für eine Sternstunde hält, sondern die unglaubliche Affigkeit der Sender NDR und der Veranstalter vom ECHO Jazz. Zitat:
Ein surrealer Höhepunkt ist das Interview, das eine NDR-Journalistin mit der Preisträgerin macht. Sie fragt vor laufender Kamera für den Bericht am nächsten Tag: „Was hören wir denn von dir heute Abend?“ – „Leider kein Stück von mir“, antwortet Anna-Lena Schnabel, „das hat mir der NDR verboten.“ – „Das können wir leider nicht reinnehmen morgen“, sagt die NDR-Journalistin entschuldigend. – „Das wundert mich nicht“, sagt die Preisträgerin.
Eine Peinlichkeit sondergleichen. Nein, eine Unverschämtheit und das leider wahre Gesicht von derlei Veranstaltungen. Ein lesenswertes Stück vom Ulrich Stock allemal. Man schämt sich in Grund und Boden. Aber es ist zugleich ja leider auch keine Neuigkeit. Vergesst den ECHO (Jazz, Klassik, Pop). Aber denkt daran, dass zum Beispiel jemand, der bis vor ganz kurzem den Verband der Musikindustrie geführt hat, der den ECHO Jazz im Rahmen seines „Kulturprogramms“ ausrichtet, nämlich Dieter Gorny, gerade heute mal wieder ins Präsidium des Deutschen Musikrates gewählt worden ist. Und das spricht wiederum nicht für den Zustand dieses Gremiums.
Passend dazu Gornys Impulsvortrag „Wieviel Ökonomie braucht die Musik?“ – schwammgleich vorgetragen. Und das Thema treffend an der Kultur vorbei. Miese Sache. Auf die Nachfrage von Ulrich Rademacher: „Wieviel Ökonomie verträgt die Musik?“ ist man natürlich nicht eingegangen.
Ich zitiere aus dem Artikel von Ulrich Stock, der Anna-Lena Schnabel zitiert:
„Ich dachte, es ist die Aufgabe des Öffentlichen-Rechtlichen, Dinge zu zeigen, die das Private nicht zeigen kann“, sagt sie. Tatsächlich werde die Kunst heute aber einer „Wirtschaftszensur“ unterworfen, „da geht es nur noch um Geld, Einschaltquoten und Popularität und nicht um irgendwelche Ideale“.
Traurige, leider dauerhafte Erkenntnis.
Inzwischen hat der Bundesverband der Musikindustrie reagiert. In seiner Stellungnahme dazu heißt es:
Auch der NDR weist den Vorwurf zurück, man haben wider den Willen der Künstlerin gehandelt (so in BILD und Musikwoche). [Danke Martin Laurentius für die Hinweise.]
Mehr dazu bei der etwas zuverlässigeren Quelle „Meedia“.
Michael Rüsenberg hat sich unterdessen in der Jazzcity auch des Falls angenommen. Er findet die Kritik, die der Film übt, zu schwach.