Anna-Lena Schnabel 2014 mit dem Bujazzo. Foto: Hufner

TV-Tipp: Der Preis der Anna-Lena Schnabel (3sat) – und ein medienpolitisches Ärgernis

Heute abend auf 3sat ab 22:05.

Als die hochbegabte Saxophonistin Anna-Lena Schnabel den „Echo Jazz“ 2017 erhält, erlebt sie den prinzipiellen Konflikt zwischen Authentizität und Erfolg im Musikbusiness. Anna-Lena Schnabel wächst in einfachen Verhältnissen auf, dank ihrer Hochbegabung macht sie ihr Abitur mit Eins. Eine sichere Zukunft steht ihr offen, wäre da nicht die Leidenschaft für Musik: Statt Psychologie, Jura oder Lehramt zu studieren, wird sie professionelle Jazzsaxophonistin und möchte nur von ihrer Musik leben. Freunde, Familie, selbst Jazzmusiker warnen sie, denn als Frau hat man es doppelt schwer, sich in der traditionell männlich geprägten Szene durchzusetzen. Dank Stipendien und Preisen läuft es jedoch erstmal, Mitmusiker und Medien sind beeindruckt. So virtuos, facettenreich und vor allem so schonungslos ehrlich gibt sonst niemand sein Innerstes musikalisch preis.

Doch ausgerechnet dieses Markenzeichen steht Schnabel bei ihrem Ziel, vom Jazz zu leben, im Weg – denn ihre Musik ist nicht gefällig und verbiegen lässt sie sich nicht. Als die junge Musikerin 2017 den renommierten Musikpreis „Echo Jazz“ erhält, sieht sie die Chance, mehr Menschen zu erreichen. Denn die Veranstaltung wird im Fernsehen übertragen. Doch die Umstände der Preisverleihung stellen sie vor eine entscheidende Frage: Muss sie Kompromisse eingehen, um von ihrer Musik leben zu können?

Film von Jan Bäumer. Hoffentlich in der Mediathek. [Ja, hier]

Ulrich Stock hat dazu übrigens in der ZEIT ein paar böse Worte verloren. Also nicht zu dem Film, den er für eine Sternstunde hält, sondern die unglaubliche Affigkeit der Sender NDR und der Veranstalter vom ECHO Jazz. Zitat:

Ein surrealer Höhepunkt ist das Interview, das eine NDR-Journalistin mit der Preisträgerin macht. Sie fragt vor laufender Kamera für den Bericht am nächsten Tag: „Was hören wir denn von dir heute Abend?“ – „Leider kein Stück von mir“, antwortet Anna-Lena Schnabel, „das hat mir der NDR verboten.“ – „Das können wir leider nicht reinnehmen morgen“, sagt die NDR-Journalistin entschuldigend. – „Das wundert mich nicht“, sagt die Preisträgerin.

Eine Peinlichkeit sondergleichen. Nein, eine Unverschämtheit und das leider wahre Gesicht von derlei Veranstaltungen. Ein lesenswertes Stück vom Ulrich Stock allemal. Man schämt sich in Grund und Boden. Aber es ist zugleich ja leider auch keine Neuigkeit. Vergesst den ECHO (Jazz, Klassik, Pop). Aber denkt daran, dass zum Beispiel jemand, der bis vor ganz kurzem den Verband der Musikindustrie geführt hat, der den ECHO Jazz im Rahmen seines „Kulturprogramms“ ausrichtet, nämlich Dieter Gorny, gerade heute mal wieder ins Präsidium des Deutschen Musikrates gewählt worden ist. Und das spricht wiederum nicht für den Zustand dieses Gremiums.

Passend dazu Gornys Impulsvortrag „Wieviel Ökonomie braucht die Musik?“ – schwammgleich vorgetragen. Und das Thema treffend an der Kultur vorbei. Miese Sache. Auf die Nachfrage von Ulrich Rademacher: „Wieviel Ökonomie verträgt die Musik?“ ist man natürlich nicht eingegangen.

Ich zitiere aus dem Artikel von Ulrich Stock, der Anna-Lena Schnabel zitiert:

„Ich dachte, es ist die Aufgabe des Öffentlichen-Rechtlichen, Dinge zu zeigen, die das Private nicht zeigen kann“, sagt sie. Tatsächlich werde die Kunst heute aber einer „Wirtschaftszensur“ unterworfen, „da geht es nur noch um Geld, Einschaltquoten und Popularität und nicht um irgendwelche Ideale“.

Traurige, leider dauerhafte Erkenntnis.

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Ein Kommentar

  1. Inzwischen hat der Bundesverband der Musikindustrie reagiert. In seiner Stellungnahme dazu heißt es:

    Stellungnahme des BVMI zur 3sat-Dokumentation. Wir veranstalten den ECHO JAZZ seit 2010, um dem Jazz selbst ebenso wie seinen vielen großartigen Künstlerinnen und Künstlern eine Bühne zu geben. Eine solche Leuchtturm-Veranstaltung mit ihrem kommunikativen Umfeld rückt das Genre ins Rampenlicht und macht es auch für eine breitere Öffentlichkeit sichtbar. Wir freuen uns, dabei den NDR als Sendepartner an unserer Seite zu haben, der entscheidend zu dieser Öffentlichkeit beiträgt. Und dass diese wiederum positive Auswirkungen auf die Bekanntheit und den Erfolg der ausgezeichneten und auftretenden Künstlerinnen und Künstler hat, wird auch in der 3sat-Dokumentation über Anna-Lena Schnabel an einigen Stellen deutlich artikuliert.

    Die Zusammenstellung des Line-ups einer Veranstaltung wie dem ECHO JAZZ sowie die Auswahl der dort gespielten Titel erfolgen unter Berücksichtigung verschiedenster Faktoren, dass dieser Vorgang an einigen Stellen als „Zensur“ bezeichnet wird, ist geradezu absurd. In der Regel gibt es im Vorfeld Vorschläge von verschiedenen Seiten, aus denen ausgewählt wird, auch von Seiten der Labels, Managements und Künstler/innen. Hier den richtigen Mix zusammen zu stellen, ist immer eine besondere Herausforderung; es gilt, die verschiedenen Tempi und Stimmungen der jeweiligen Live-Stücke zusammenzubringen, die Künstler/innen vorzustellen und dem Zuschauer das Genre Jazz nahezubringen. Die Künstler sind in diesen Vorgang jedoch stets einbezogen. Am Ende muss im Medium TV eine Sendung entstehen, die die TV-Zuschauer/innen erreicht und inhaltlich abholt und mitnimmt. Die Produktionsfirma und der NDR haben dabei unser vollstes Vertrauen und das bisherige Feedback der Branche auf die letzte Sendung hat uns darin in den letzten Monaten noch einmal bestärkt!

    Auch der NDR weist den Vorwurf zurück, man haben wider den Willen der Künstlerin gehandelt (so in BILD und Musikwoche). [Danke Martin Laurentius für die Hinweise.]

    Mehr dazu bei der etwas zuverlässigeren Quelle „Meedia“.

    Michael Rüsenberg hat sich unterdessen in der Jazzcity auch des Falls angenommen. Er findet die Kritik, die der Film übt, zu schwach.

    „Jan Bäumer aber ist kein Herzog, sondern einer (der wenigen), die den Echo Jazz zum Nennwert nehmen und ihn sich von Beteiligten schönreden lassen.“

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