Das Recklinghäuser Szenelokal Altstadtschmiede mit ihren wöchentlichen Sessions steht für eine hohe Beständigkeit im Jazz, wie sie auch und gerade jenseits der großen Bühnen lebt. Vorausgesetzt man pflegt sie mit so viel Herzblut wie der Gitarrist Ingo Marmulla, der vor Jahrzehnten diese Reihe ins Leben rief – und heute über genug Kontakt in der Szene verfügt, um jede Woche aufs Neue die kleine Bühne voll zu bekommen. Auffällig ist, dass hier auch viel junges Publikum das Klischee von der in Würde ergrauenden Jazzgemeinde fröhlich konterkariert.
Erwartungsgemäß voll wurde es, als hier mal wieder ein legendärer Spieler auf der Bühne stand: Der Saxofonist Gerd Dudek improvisierte und solierte sich abendfüllend in sein 80. Lebensjahr hinein. An seiner Seite agierte eine große, spontan zusammengewürftelte Band, und auch die vereint jung und alt in ihren Reihen! Am untersten Ende der Altersskala der groß besetzten Combo auf der kleinen Bühne rangiert Jerry Lu, der „jugend jazzt“ und „jugend musiziert“ erfolgreich meisterte und jetzt in Köln Jazzpiano studiert. Durch nichts lässt sich dessen ruhig pulsierendes Spiel aus der Ruhe bringen. Das beweist er bei dieser improvisierten Spontan-Combo wie sonst auch beim Jugendjazzorchester NRW. Die Fäden zieht Ingo Marmulla, der immer auf neue die Leute zusammenbringt. Er koordiniert während des Spiels den Ablauf der Changes, Soli und Chorusse – auf dass alles wie in einer gut geölten Maschine vorwärts geht! Oft verlässt er an diesem Abend die Bühne, um sämtliche Musiker noch zusätzlich anzufeuern.
Mit Leidenschaft, aber ohne Exzentrik und dafür umso mehr stilsicherer Erfahrung wird den Großtaten im Jazz Respekt gezollt: Voller Bluesfeeling und sattem Swing sind die Hommagen etwa an Count Basie, Duke Ellington oder John Coltrane. Ewige Statements, die hier im Glanz der Gegenwart erstrahlen! Und man darf den großen Gerd Dudek auf seinem Tenor als gefühlvollen Geschichtenerzähler erleben, der sich in allen Registern und Tonlagen bestens zuhause fühlt. Oft wird es richtig orchestral wie in einer kleinen Bigband. Stefan Werni lässt den Bass wie einen gleichmäßig getakteten Motor pulsieren. Eckhard Koltermann auf der Bassklarinette schöpft aus großen Tonumfängen. Bernd Westerhoff lässt seine flammenden Trompetensoli erstrahlen. Schließlich nimmt der berühmte „A-Trane“ mächtig, aber ohne jede Hektik Fahrt auf. Billy Strayhorns und durch Duke Ellington bekannt gewordenes Stück wurde geschrieben, als Gerd Dudek gerade ein Jahr alt war. Aber es klingt in der Behandlung durch diese Musiker so frisch, als würde es aus dem Heute kommen. Denn an diesem Abend wird mit Leidenschaft und ohne Mätzchen einfach nur ehrliche Musik gemacht.
Text und Fotos von Stefan Pieper