Erfolg der Blue notes in Kurt Wallanders Revier: Beim 8. Ystad Sweden Jazz Festival sorgten Musiker wie Joshua Redman, Edmar Castaneda und Iiro Rantala für großen Erlebniswert – und Nicole Johänntgen präsentierte ein faszinierendes Frauen-Septett. Ein herrlicher Ort für ein Musikfestival: Man kann es nicht anders sagen. Gemütlich ist Ystad, dieser 19000-Einwohner-Ort an der schwedischen Südküste. Eine idyllische Altstadt, ein 750 Jahre altes Kloster, ein poetisch-altmodisches Theater von 1894, historische Innenhöfe wie den mit 500 Jahre altem Backstein-Fachwerk umgebenen Per Helsas Gard – und dann dieses Licht über dem Hafen, dieses gelbliche Schimmern, das bei schönem Wetter die Fassaden so berückend leuchten lässt. Da hält man sich gern auf, jedenfalls mindestens in der ersten Augustwoche, wenn besagte Schauplätze für ein Jazzfestival genutzt werden. Das nennt sich Ystad Sweden Jazz Festival und fand jetzt bereits zum achten Mal statt. Eine – für einen Ort dieser Größe – Riesenzahl von 48 Veranstaltungen an sechs Tagen und die Nutzung einer brandneuen, 1500 Plätze fassenden Handball-Halle fürs mit schwedischen Allstars bestückte Eröffnungskonzert sorgte für einen neuen Besucherrekord: 10 800 verkaufte Karten.
Hochstimmung herrschte. Sechs Tage lang. Und auch ohne das Abschlusskonzert in der späten Sonntagnacht wäre das schon ein vorzügliches Festival gewesen. Doch dann spielte das Quartett des Saxophonisten Joshua Redman – auf der Bühne angeordnet in einem Viereck, so dass zum Beispiel die beiden Bläser, Redman und der Kornettist Ron Miles, einander gegenüber standen – und präsentierte eine Hommage an „Old and New Dreams“, ein Quartett, das Redmans Vater Dewey Redman einst mit Bassist Charlie Haden, Schlagzeuger Ed Blackwell und Trompeter Don Cherry bildete. „Still Dreaming“ heißt bei den Jungen das Motto – und über eine Stunde lang feiert diese Gruppe den Zauber vollendeten Interplays. Eigenkompositionen und Klassiker wie „Dewey’s Tune“ oder am Ende Charlie Hadens erhaben leises Stück „Silence“ spielten Joshua Redman, Ron Miles und Bassist Scott Colley sowie Schlagzeuger Brian Blade hier und ließen sie lyrisch, hymnisch, bluesig ihre Klangfreiheit feiern – noch dazu in fesselnder, niemals kühl werdender spieltechnischer Vollendung. Musik von einer ungekünstelten und zeitlosen Schönheit.
Wesseltoft spielt Dylan
Fürs Programm verantwortlich war wieder der Pianist Jan Lundgren, der in Ystad lebt und mit dem früheren Bürgermeister und heutigen Manager der Veranstaltung, Thomas Lantz, einst bei einer zufälligen Begegnung im Regionalzug erste Ideen für dieses Jazzfestival schmiedete. Seit 2010 macht die Sache von sich reden und scheint stetig zu expandieren. 130 freiwillige Helfer hatte das Festival diesmal. Ohne sie könnten die Konzerte gar nicht stattfinden. Und so mancher Musiker betont, dass er in Ystad wie in einer großen (sehr großen) Familie empfangen werde. Die Atmosphäre ist gelöst und ungemein freundlich.
Neben Zugpferden auf der Hauptbühne, dem Theater, gab es in der stilvoll-prunklosen Klosterkirche einige besonders stimmungsvolle Solo- und Duo-Konzerte. Ein hoher Raum mit einem Nachhall von sechs Sekunden: Da funktioniert nicht jede Musik. Aber die von Pianist und Produzent Bugge Wesseltoft, solo am Flügel, war da besonders gut zuhause. Er huldigte entschieden dem ganz Leisen und Langsamen – am Ende mit „Bridge over troubled water“ und „Blowing in the wind“: Eine Kunst des Fließens ohne zu plätschern machte er daraus. Auch Gitarrist Jacob Fischer und Bassist Hans Backenroth verlegten sich in diesem Kirchenraum auf besonders behutsame Töne, etwa mit „Summertime“ und „A felicidade“ – Fischer auf einer Nylonsaiten-Gitarre – und boten ein Musterbeispiel des Aufeinander-Hörens. Und auch der große Pianist Bobo Stenson, zusammen mit dem Saxophonisten Lennart Aberg als Duo „Two of a kind“, hinterließ hier musikalische Eindrücke mit Nachwirkung: Die Innigkeit, mit der die beiden Stücke wie „Nature Boy“ und „Footprints“ spielten, ist nur bei ganz wenigen Musikern zu finden.
Ausgerechnet das Konzert von Stenson und Aberg verpassten manche Besucher – und offenbar auch die lokalen Kritiker: Denn es fand in unmittelbarer zeitlicher Nähe zum Auftritt von Lokalmatador Jan Lundgrens Potsdamer Quartett (mit Jukka Perko, Altsaxophon, Don Berglund, Bass, und Morten Lund, Schlagzeug) statt, nur eben Stenson am Nebenspielort und Lundgren am Hauptspielort. Musik, die groovt, viel Finesse in zarten Stimmungen und außerdem Spielwitz aufbietet, spielt Lundgrens Quartett, und ohne die Kollision mit Stenson wäre das noch ein bisschen schöner gewesen. Dass der künstlerische Leiter selbst auftritt, gehört in Ystad zum Konzept, und Lundgren war schon am Abend zuvor im Duo mit Posaunen-Star Nils Landgren in Ystads Theater zu erleben gewesen: „Landgren meets Lundgren“, das war was fürs nicht nur schwedische Herz; besonderes Highlight: „Norwegian Wood“. Eine Eigenkomposition, „The Poet“, spielte Lundgren gleich an beiden Abenden. Ein einziges eigenes Projekt des künstlerischen Leiters würde bei einer Ausgabe des Festivals eigentlich genügen; so etwas wird schnell inflationär, auch wenn die Musik, die rauskommt, gut ist.
Dauer-Läufe von Al
Der von vielen Fans vorab neugierig erwartete Stargast des Festivals war einer, der Musik mit Artistik verwechselte: Der Gitarrist Al di Meola kam mit seinem Akustik-Gitarren-Duo-Partner Peo Alfonsi an einem der Spätkonzerte ins Theater. Dort saßen die beiden dann nebeneinander hinter Notenständern und spielten mit rasant verschränkten Oberstimmen spanisch angehauchte Stücke, die fast alle gleich klangen und bei aller Virtuosität ziemlich papieren daherkamen. Lebendig waren eigentlich nur zwei Beatles-Stücke, „Because“ und „She’s leaving home“, sowie der „Mediterranean Sundance“ in der Zugabe. Wie viel Leben in aberwitziger Spieltechnik stecken kann, zeigte an einem anderen Abend der kolumbianische Harfen-Spieler Edmar Castaneda im Duo mit der Pianistin Hiromi. Bei Castaneda klingt die Harfe mal nach grollendem Donner, mal nach splitternden Glas – und einmal groovt sie sogar wie der Bass von Jaco Pastorius. Unfassbare Musikalität und überbordende Spiellust.
Viel Starkes gab es bei diesem Festival: die kompromisslose Ausdrucksmusik des dänischen Pianisten und Bandleaders Carsten Dahl mit dem existentiell schmirgelnden Altsaxophonisten Jesper Zeuthen; das überfliegend kreative Trio von Bassist Lars Danielsson, Saxophonist Marius Neset und Morten Lund; die vielfarbig fesselnde Trance-Musik des Bassisten Dan Berglund mit der Band „Tonbruket“; die feinen Kompositionen der Big-Band-Leaderin Ann-Sofi Söderqvist mit der warmen Stimme der Sängerin Lena Swanberg und so starken Solisten wie Karl-Martin Almqvist am Tenorsaxophon. Auch das Scottish National Jazz Orchestra unter der Leitung von Saxophonist Tommy Smith mit der Sängerin Eddi Reader und gewitzten Vertonungen von Texten des Nationaldichters Robert Burns gehörte dazu. Sowie nicht zuletzt: die bewegende Ella-Fitzgerald-Huldigung der amerikanischen Sängerin Deborah Brown – mit nuancenreicher Stimme und sehr gut arrangierten Streichern der Leopoldinum Strings aus Polen.
Sieben Frauen nennen sich „Sofia“
Und dann war da noch ein Projekt namens Sofia II der deutschen Saxophonistin Nicole Johänntgen. Sieben herausragende junge Solistinnen aus unterschiedlichen Ländern hatte Johänntgen hier versammelt, von der Schweizer Harfenistin Julie Campiche über die belgische Akkordeonistin Anne Niepohl und die nepalesische Tabla-Spielerin Shresta Sanskriti bis hin zur britischen Schlagzeugerin Sophie Alloway. Die ungewöhnliche Besetzung kam organisch rüber, und in Kompositionen fast aller Beteiligten – nicht zuletzt drei Stücke der Bandleaderin, die Ystad gewidmet waren – hörte man prägnante Themen in feinfühligen Entwicklungen von Musikerinnen, die man hoffentlich noch oft zusammen erlebt.
Kurz vor dem Abschlusskonzert Joshua Redmans war – innerhalb der Klosterkirchen-Reihe – eines zu hören gewesen, das wie eine skandinavische Freundschaftsgeste anmutete. Ausgerechnet der finnische Super-Pianist und Mega-Entertainer Iiro Rantala kam an diesen sensiblen Ort – und zwar in gelben Schuhen, die er als Hommage an die Schweden verstanden wissen wollte. Aber statt den sakralen Raum in Grund und Boden zu donnern (was er könnte und anfangs fast schon geschafft hätte), entwickelte der Musiker von Stück zu Stück mehr Feingefühl und Charme und auch ein besonderes Timing für musikalische Momente. Er ist einer, der wundersamerweise auch ganz zart kann, und auf dem Höhepunkt des Gastspiels rührte Rantala das Publikum mit einer Hymne zur Begrüßung des Sommers, die es sowohl in Finnland wie in Schweden gibt. Danach folgte – zum nicht kitschig wirkenden Mitsingen – der Beatles-Klassiker „All you need is love“ – als Hinweis für das Wesentliche im Leben. Dem schickte Rantala noch ein beseeltes „Over the Rainbow“ hinterher – und genau über diesem Regenbogen dürften jetzt das Festival-Team und viele Besucher aus Ystad eine ganze Weile schweben.
Text & Fotos: Roland Spiegel