Ein Atem, der zum Ton, zum melodischen Motiv wird. Ein Klaviermotiv wie ein Echo. Eine Zäsur, die mindestens genauso viel zu sagen hat, wie der betont offene Dialog, den sich der Saxofonist Peter Ehwald und sein pianistischer Partner Stefan Schultze leisten, zeigt sich gerade zu Beginn des neuen Albums als Prozess des Suchens. Lieber eine Frage zu viel aufwerfen, als irgendwann der Versuchung einer vorschnellen Antwort erlegen sein. Was die beiden seit nunmehr Jahren anpacken, zeugt von tiefem Einklang, der nur so bestehen kann, wenn man die Verschiedenheit zwischen den beiden Charakteren bejaht. Aus dieser Haltung heraus nahmen die beiden den New Yorker Schlagzeuger Tom Rainey in die Mitte. Und der erweist sich in dieser Konstellation als offensiv mitgestaltend, als mächtige Inspirationsquelle. Denn gerade die verschlungenen, asymmetrischen rhythmischen Muster bereichern die intuitive Zweisamkeit von Ehwald/Schultze immens.
Die Stücke, die daraus entspringen, gehen in unterschiedliche, selten vorhersehbare, oft auch etwas labyrinthische Richtungen. Aber nie ohne einen dezidierten Ansatz in Gestalt einer kompositorischen Idee. Nichts ist oberflächlich in diesem gemeinsamen Kaleidoskop aus musikalischer Fantasie. Es laufen lassen, wenn etwas gut ist, und manchmal auch kühn auf die Spitze treiben. Sich dabei nichts vormachen, denn jeder bleibt selbstbewusst er selbst, wenn er mit den Ideen des anderen auf Tuchfühlung geht. Etwa wenn Stefan Schultze hochemotional auf dem Piano soliert und Peter Ehwald sphärische, manchmal gar hymnische Antworten auf dem Saxofon liefert. Dies und noch viel mehr setzt auf diesem neuen Tonträger schroffe Eruptionen frei, entführt aber auch in entrückend atmosphärische Traumsequenzen, die zum Teil als Hommage an Morton Feldman gedacht sind.
Dieses Hörvergnügen ist komplex, unberechenbar, gerne auch tiefschürfend. Aber die Erfahrung, die dahinter steht, hat Vorbildcharakter!
Von Stefan Pieper
Peter Ehwald, Stefan Schultze, Tom Raine: Behind her eyes
jazzwerkstatt