Wann wird ein Künstler, ein Musiker zur „Legende“? Um die 80 Jahre herum ist ein Alter, wo diese einfallslose Floskel scheinbar ein Eigenleben zu entwickeln beginnt und auf jeden draufgepappt wird, der sich nicht dagegen wehrt. Demnach ist der niederländische Trompeter Ack van Rooyen vermutlich eine „Superlegende“, hat er doch mit 87 Jahren ein schon fast biblisches Alter erreicht, in dem er dennoch nach wie vor ganz aktiv unterwegs ist. Beim Jazzclub im Leeren Beutel bestritt der weißhaarige Musiker als Stargast des Regensburger Uni-Jazzorchesters (UJO) das Abschlusskonzert der Saison – und wurde völlig zu Recht lauthals dafür gefeiert.
„Weiter klatschen“, forderte Lorenz Kellhuber das Publikum forsch-fröhlich auf, als sich die Musiker der Uni-Bigband durch die eng gepackten Stuhlreihen zu ihren Plätzen schlängelten. Kellhuber selbst verschwand hinter einer Steinsäule und setzte von dort am Flügel einige dramatische Akkorde zum Auftakt für einen gleichermaßen unterhaltsamen, wie packenden Abend. Mit dem „A-B-C Blues“ von Bob Brookmeyer wählte das Orchester unter Leitung des Trompeters Benny Brown einen kraftvollen Einstieg. Damit machte es gewissermaßen von Anfang deutlich, wo der Hammer hängt. Unerwartete melodische Wendungen und abrupte harmonische Wechsel wurden problemlos gemeistert und zeigten die gute Verfassung, in welcher der studentische Klangkörper sich präsentierte. Dazu trugen auch die beiden Profimusiker Felix Fromm, der die Posaunen-Section verstärkte, und Brown (tp) bei, der hier sein Debüt als Bigband-Leader gab. Nach einem Workshop mit dem UJO hatte Kellhuber die beiden gefragt, ob sie beim Konzert mitspielen und – im Fall des Trompeters – ihn am Dirigentenpult vertreten würden. Beide willigten sofort ein, hatten sie doch bereits als Mitglieder im Jazzorchester Regensburg Kontakt zur Stadt. „Er spielt wie Anfang 20 und sieht auch garantiert nicht aus wie 87“, kündigte Kellhuber nach der ersten Nummer gut gelaunt den niederländischen Gastsolisten an. Eine leichte Unsicherheit beim Erklimmen der Bühne war gänzlich weggeblasen, als Ack van Rooyen sein Instrument zu einer wunderbar entspannten Ballade ansetzte, einer leichtfüßigen, brasilianisch inspirierten Komposition, bei der das Orchester seine weiche, leise Seite hervorkehrte. Anfänglich ein wenig kurzatmig, überzeugte van Rooyen auf ganzer Linie und eroberte das Publikum sozusagen im Sturm. Sowohl mit seinem geschmeidigen Ansatz, dem warmen, herrlich schlanken Ton und einer zurückhaltenden emotionalen Phrasierung setzte er dem Bigbandsound ein ums andere Mal leuchtende Glanzlichter auf. Höhepunkte des Abends waren zwei Duette, die sich van Rooyen auf dem Flügelhorn mit dem Trompeter Benny Brown lieferte, und ein unbegleitetes Duo mit Kellhuber. „Mit ihm am Piano“, freute sich der sympathische Niederländer, habe er „endlich wieder einen Partner gefunden“ mit dem der das gefühlvolle „My One And Only Love“ wie früher mit Jörg Reiter, seinem langjährigen Duopartner aus Stuttgart, spielen könne. Obwohl fast zwei Generationen zwischen den beiden so unterschiedlichen Musiker liegen, geriet die einst von Frank Sinatra gesungene Liebesschnulze zu einem der eindrücklichsten und bewegendsten Momente des Abends. Tiefen Eindruck hinterließ auch ein Stück, „Autumn Bugle“, das der Flügelhornist „all jenen gewidmet hat, die gegangen sind“. Das sind von Albert Mangelsdorff, mit dem er jahrzehntelang im United Jazz & Rock Ensemble spielte, Gil Evans und Clark Terry, bis zu Peter Herbolzheimer, in dessen Rhythm Combination and Brass er lange gespielt hat, viele befreundete Jazzgrößen aus der ganzen Welt.
Zu einem köstlichen musikalischen Vergnügen geriet am Ende des feinen Konzertabends „Walking Tiptoe“, die „Geschichte zweier Trompeter, die viel später als den Frauen versprochen – auf Zehenspitzen – nach Hause“ kommen. Allerdings hörte sich das hinreißende Duett von Benny Brown und van Rooyen so wenig reumütig oder gar bußfertig an, wie bei anderen Männern, die im Rausch des Augenblicks Raum und Zeit vergessen und sich ganz dem Hier und Jetzt hingeben. Im letzten Takt klang schließlich doch noch ein wenig zerknirschtes Schuldbewusstsein an, vermutlich nur, um das Weib zu beruhigen. Vom leichten Brasilsound, über das dunkle Trauerlied, einige mächtig aufdonnernde Brookmeyer-Kompositionen, bis zur feinfühligen Zugabe „Mood Indigo“ zeigte sich das das Jazzorchester seiner anspruchsvollen Aufgabe hervorragend gewachsen. Ein wunderbarer Abend, der dem großartigen Gastsolisten allerdings mit der stickigen Luft im aufgeheizten Saal auch immer wieder etwas zusetzte.
Infos: Bereits mit 17 Jahren spielte Ack van Rooyen im Orchester von Ernst van`t Hoff, der sich den Nazis angebiedert hatte und später ins Visier der Gestapo geriet. Mit seinem 2009 verstorbenen älteren Bruder Jerry ging er als Student nach New York, wo er Clifford Brown kennenlernte, der für ihn ein Vorbild war. Wichtige spätere Stationen waren für den brillanten Trompeter und Flügelhornisten: die SFB Bigband Berlin, das SDR Orchester unter Erwin Lehn, die Bert-Kaempfert-Bigband, das United Jazz & Rock Ensemble, das Metropole Orkest und das Jazzorchester des Concertgebouw. In den 50er Jahren begleitete er Marlene Dietrich auf einer Tournee. Heute leitet er in ganz Europa Workshops und Clinics. Van Rooyen setzte sich auch für die Einführung der Künstlersozialversicherung ein. 2006 wurde der zum 17. „Ritter der Ronnenburg“ geschlagen.
Text und Fotos: Michael Scheiner