Nicht nur München spielt auf in Südtirol

Bozen als bewährte Bühne jenseits des Brenner für hiesige Jazzmusiker? Zum Südtiroler Abenteuerspielplatz wurde 2011 dort der Waltherplatz für Musikstudenten des U.M.P.A. Jazz Orchestra Munich. Sturmeshalber mussten sie alle Wäscheklammern der Stadt aufkaufen, um ihre Notenblätter auf den Pulten zu halten. Für Münchner kaum mehr als drei Fahrstunden Richtung Süden entfernt, liegt das Zentrum eines weiträumigen Festivals, das sich Bayerns junger Szene schon seit langem verbunden fühlt. Vom 100 Kilometer westlich von Bozen gelegenen Sulden am Ortler bis Innichen im ähnlich fernen Nordosten erstreckt sich das Südtirol Jazzfestival mit seinen rund 80 Terminen an 50 Orten. Und diesmal ist es eine in Münchner Clubs wie dem „Harry Klein“ BIG gewordene BAND, deren mobiler Ableger die meisten Schauplätze zu absolvieren hat. Durch die Zentren von Brixen und Bruneck wird die Jazzrausch Marchingband ziehen, in Meran und Salurn auftreten – und in Bozen sowieso.

Foto: Susanne van Loon

Marching Bands gehören zum Konzept des Festivalmachers Klaus Widmann. Sie sollen bei Touristen und Einheimischen Neugier wecken auf neun Tage Musik, die nicht zuletzt deshalb finanziell so großzügig von der Region unterstützt werden, weil Widmann Südtirols Image deutlich über Törgelen und Speckknödel hinaus führt. Das erstaunlich „unknappe“ Budget nützt er für programmatische Abenteuer. Da landet Avantgarde in Dorfwirtschaften und auf Berghütten, verirren sich Urlauber bei meist freiem Eintritt in Konzerte, deren Interpreten auf der Suche nach stilistisch schwer verortbarem Neuland sind – oft schon deswegen, weil eigens fürs Festival geplante Projekte sie erstmalig zusammen bringen.

Aber zurück zu den Münchnern, zu denen das Trio des Pianisten Leo Betzl ebenso zählt wie die Brassband „buffzack“ und ein deutlich schrägeres Quintett der Theremin-Expertin Verena Marisa aus Starnberg. CLÆNG dürfte in der Fußgängerzone von Innichen mit Titeln wie „Hydrolyse und Oxydation“ wie vom Mars angereist wirken. Bayern ist übrigens mitnichten Schwerpunkt im 35. Jubiläumsjahr. Diesmal steht das Trio BeNeLux mit seinem Namen fürs zentrale Thema. Neben Pascal Schumacher, der zum Abschluss mit einem Trio von Vibraphonisten (!) eine Hütte in 2154 Meter Höhe am Fuß des Langkofels erobern wird, spielt hier der Gitarrist Reinier Baas, und der ist als „Artist in Residence“ vom Eröffnungskonzert mit einer surrealistischen Jazzoper bis zur „Mix & Match“-Band der holländischen Freejazzlegende Han Benink vielfach vertreten.

Kein Festival der großen Namen, es geht ums Anstiften innovativer Musik an ungewöhnlichen Orten: Sängerin Leila Martial  im Planetarium, „Carate Urio Acoustic“ bei den Erdpyramiden an Bozens Hausberg Ritten, das junge „Sketchbook Quartett“ im Getränkeladen Harpf in Bruneck. Und im Innenhof der Festivalstammkneipe „Batzenhäusl“ ein durchgeknalltes „futuristisches Experiment“ aus Brüssel, ein von Gehirnströmen gesteuertes „Ritual in Echtzeit“ inklusive Tänzerin und Lichtskulptur. Beruhigend, dass gleich nebenan ein bewährtes dunkles Bier gebraut wird.

Klaus von Seckendorff

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