Der Kontakt geht noch auf Norbert Vollath zurück. Pianist Simon Nabatov gehörte zu den favorisierten und bewunderten Pianisten des zu früh verstorbenen Oberpfälzer Musikers und Klangkünstlers, der für die Kebbel-Villa in Schwandorf-Fronberg ein exquisites Jazzprogramm kuratierte. Nabatov gastierte vor drei Jahren als Solokünstler erstmals in Schwandorf, das Konzert konnte Vollath noch erleben. Diesmal stellte sich der in Moskau geborene Kölner mit einem neuen jungen Trio vor – und begeisterte um keine Spur weniger. Trotz des geringeren Interesses, welches dem Auftritt unverdientermaßen entgegengebracht wurde, war der stürmische Beifall am Schluss noch bis auf die Strasse deutlich vernehmbar.
Nabatov ist ein Rasender, ein hochemotionaler Künstler und virtuoser Pianist. Einer der Empfindungen und Eindrücke in eine dichte, komplexe Musik überführen kann, durchzogen von glimmenden Spuren schlichter Poesie. Er packt das in dynamisch spannende Kompositionen, die voller Überraschungen stecken und Raum lassen für spontane Einfälle und Improvisationen. Für das Trio mit dem Schweizer Schlagzeuger Dominik Mahnig und dem Konstanzer Bassisten Stefan Schönegg hat der 58-Jährige ein komplettes Programm neu geschrieben. Vergangenes Jahr ist es bei Leo Records des emigrierten Russen Leo Feigin als feines Album – Picking Order – erschienen. Das englische Label gehört zum kleinen Kreis unabhängiger Musikverlage, die noch das erschlaffte Fähnchen des Freejazz hochhalten. Allerdings wäre es zu einfach und falsch, die Musik Nabatovs nur unter dieses Etikett zu packen. Für seine oft langen Stücke nutzt er kompositorische Elemente der Klassik ebenso, wie Motive und Formen des Jazz. Einmal entschuldigt er sich galant, denn bei „Fills in the blanks“ sei er wohl „besonders von Vivaldi beeinflußt gewesen.“ Wie dieser habe er mehrfach „falsche Kadenzen“ in der mehrteiligen Komposition verwendet. Häufig setzt Nabatov anfänglich ruhige Momente, lässt einzelnen Tönen viel Raum. Die beiden Mitspieler setzen zarte Farbtupfer und grell aufblitzende Leuchtspuren, schaffen eine poetische, aber keineswegs immer heimelige Stimmung emotionaler Tiefe und Spannung. Nabatov will nicht unterhalten, an schon Bekanntem andocken und Vertrautes aufwärmen. Er will überraschen, von einer unerwarteten Seite her packen, mitreißen und überwältigen. Nach einem feinfühlig gestrichenem Bass-Solo und einsetzendem pianistischem Pathos lässt er kratzbürstiges Geschehen dann auch schon mal in die ausgefahrene Spur des Blues einbiegen. Wenn sich dann die Hörnerven entspannen und die Zuhörer das vergnügliche Treiben genießerisch einsaugen, lässt der schwergewichtige Mann am Flügel plötzlich die Fäuste fliegen und den Blues hoch aufspritzen – bis die Musik des Trios wieder in einem dunklen Klangsumpf zu versinken beginnt.
Es ist ein aufregendes Konzert, abenteuerlich in seiner klanglichen Vielfalt – wobei sich vor allem der unfassbar präzise Schlagzeuger hervortut – dramatisch und aufgeladen. In „Aria“ scheint eher der klassische Hintergrund durch, im älteren „The Lake“ zeichnet Nabatov die widerstreitenden Empfindungen eines Kindes nach, das in Estland erstmals vor einem dunklen, unergründlichen See gestanden ist und nicht wußte, ob es sich reintrauen soll. Ein großartiges Erlebnis, von dem man hoffen kann, dass es noch viele Fortsetzungen findet.
Info: www.nabatov.com/
Aktuelles Album: picking order, Simon Nabatov Trio, Leo Records (NRW)
Text: Michael Scheiner