Tourabstecher: Fred Frith begeisterte in Regensburg

„Ich freu mich, wir freuen uns aaauf. Fred Frith!“ In seiner Aufregung über den Tourschlenker, den der Musiker mit dem legendären Ruf für einen Auftritt beim Jazzclub Regensburg genutzt hat, vergisst Clubchef Winfried Freisleben ganz, dass da noch zwei andere Musiker mit auf der Bühne stehen. Mit kurzem Nicken nimmt der Gitarrist den Platz neben dem Flügel ein und stellt mit einer gemurmelten Begrüßung „Mister Jason Hoopes on bass“ und „on drums, Mister Jordan Glenn“ vor. Solide englische Höflichkeit, die dem in Kalifornien lebenden und lehrenden Musiker in den legereren USA unberufen nicht abhanden gekommen ist.

Hoopes und Glenn, beide Abgänger des renommierten Mills College in Oakland, sind gut eine Generation jünger als Frith. Zwei Tage zuvor feierte der seinen 68. Geburtstag. Bemerkbar macht sich das gelegentlich, wenn Frith in Soundtüfteleien und Gefrickel vertieft, spürbar abgeklärter wirkt, während der schwarzgelockte Bassist wie unter Strom wuchtige rhythmische Breitseiten abfeuert, vertrackt kontrastiert, immer wieder aufs Tempo drückt. Dennoch ist die gemeinsame Haltung, aus dem Moment heraus eine von Stil- und Genregrenzen befreite, nach vielen Seiten offene Musik zu kreieren, auch bei musikalischen Sticheleien durchwegs spürbar. Transportiert werden ureigene Emotionen und Ideen, die etwas jenseits von professioneller Perfektion, gesellschaftlicher Routine und durchökonomisierter Verfasstheit aufblitzen lassen. Eine musikalische Utopie sozusagen, die ihre Referenz in den gemeinschaftlichen Lebens- und Arbeitsformen der der Post-68er Zeit, teilweise bis heute hat.

Damit, ließe sich mit dem Verschwinden alternativer Lebensformen einwenden, ist auch die Musik überholt, ein zeitgeschichtliches Relikt sozusagen. Betrachtet man nur die Produktionsmittel, elektrische Gitarren und traditionelles Schlagzeugset, mag da angesichts elektronischer Avantgarde etwas dran sein. Hört man in die mal wuchtig sich türmende, in Fetzen melodiöse, mal poetische harsche Musik, muss man zu einem anderen Schluss kommen. Der brodelnde Geysir, den das Trio in Regensburg aus dem Stand aufbrechen ließ, wirbelte das Publikum erst einmal ordentlich durch. Und er unterstrich die Lebendigkeit und Aktualität von Ideen wie Freiheit, Offenheit und Miteinander – auch und besonders in der Konfrontation, der offenen Auseinandersetzung. Dichtes freies Spiel, zeitweise dominiert vom intensiven vorwärts drängenden Bassmann Hoopes, setzte das Publikum regelrecht unter Strom und öffnete ein weites Feld an Klangfarben, Stimmungen und hybrider Eindrücke. Nachvollziehbare melodische Figuren oder harmonische Formen tauchten als Fragmente wie kleine Leuchtdioden auf, um sogleich wieder ab- und aufgelöst zu werden. Wuchtige Rockenergie stieß an verschliffene Klangmauern, ein rhythmischer Groove, der sich eigensinnig durchgesetzt hatte, wurde sofort wieder von einem freien Puls aufgesogen und transzendiert. Man könnte auch ganz einfach sagen – da ging richtig die Post ab!

Während das erste Stück über weite Strecken frei improvisiert war, spielte das Trio danach auch Kompositionen aus dem aktuellen Album „Another Day in Fucking Paradise“. Wobei das Improvisieren und Spielen mit Klängen auch bei den geschriebenen Takes auf der Bühne immer viel Raum einnimmt. Nahezu wortlos – einmal bedankt sich Frith artig mit „Danke schön“ für begeisterten Applaus – und ohne sich anzuschauen zupften, zerrten und schrammelnden sich die Musiker durch einen spannenden Soundkosmos, den der überragende Drummer höchst sensibel zusammenhielt. Bei beiden Saitenartisten kam dabei eine ganze Phalanx an Effektgeräten und Soundgadgets zum Einsatz, die vom Unterwassergeblubber bis zum majestätischen Hall eines Kathedralbaus vielfältige Raumassoziationen auszulösen imstande war. Reichten die elektrischen Hilfsmittelchen, wie der mächtige E-Bow nicht aus, den die Gitarristen einsetzten, griff Frith auch schon mal zur Blechdose, setzte sie auf die Saiten und rührte darin mit einem Metallstift herum. Aus all den Zutaten resultierten auch flöten-, orgel- und streicherähnliche Klangfarben, welche die störrische Heftigkeit der Musik in eine betörend raue Poesie betteten. Keine Sekunde Langeweile, eine Vielfalt an Stimmungen zwischen innerer Weite und lustvoller Eruption und ein gelegentlich aufblitzender untergründiger Witz. Dieses Konzert vergessen die nachdrücklich Zugaben einfordernden Zuhörer vermutlich nicht so schnell. Zugabe: ein kurzes lapidares Ping-Pong. Ach ja: Wenn die Engländer im vergangenen Jahr statt auf Ukip mehr auf einen ihrer besten Musiker gehört hätten, bei dem vom Country über Blues, Jazz, Folk und ethnischen Formen bis hin zum Skurrilen die ganze Welt drinsteckt, wäre der Brexit kein Thema geworden. Frith Musik, um mit einer großen Zeitung Frankreichs zu sprechen, gehört „zu den mächtigsten und originellsten der Gegenwart“.

Text und Fotos: Michael Scheiner

Infos: www.fredfrith.com

 

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