Der Krabbenfänger (Rákfogó). So hieß eine Gruppe in Ungarn, die in ihrer Kernform nur kurze zwei Jahre von 1972 bis 1974 existierte und die trotz der Tatsache, dass sie damals keine LP veröffentlichen konnte, bis in die Gegenwart hinein einen großen Einfluss auf den ungarischen Rock- und Fusion-Jazz ausübte. Rechnet man die Vorgängergruppe »Új Rákfogó« und die personell verbundenen Bands »Syrius« und »Kex« dazu, existierte damals ein Pool von exzellenten Musikern, aus dem sich bis heute immer neue, brillante Musik entwickelt.
Aktuelles Beispiel: Die CD »Makrokozmosz« des Gitarristen Gyula Babos. Die Musik auf dieser CD scheint wie eine Vertonung des bekannten Mottos von Thomas Morus zu sein, das – zum Beispiel – Gustav Mahler so formulierte: »Tradition ist die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche.« Schon mit dem ersten Stück der Scheibe – gewidmet dem in der Ungarischen Tiefebene in der Mitte des 19. Jahrhunderts aktiven Räuber und Revolutionär Sándor Rózsa, einer Art ungarischem Robin Hood – wird loderndes Feuer weitergegeben! Rasante Themen und Motive erinnern an die Ästhetik Miles Davis’ (Trompete hier der grandiose Kornél Fekete-Kovács) an der Schwelle zu »Bitches Brew«, flirrend rasende Gitarren-Improvisationen lassen manchmal – nicht vom Sound, aber von der die Verzögerungen liebenden Phrasierung her – an Frank Zappa zu »Grand Wazoo«-Zeiten denken, die Bop-Scats des Vokalisten Gábor Winand stehen, zumindest was ihren melodisch-harmonische Entwicklungen betrifft, Al Jarreau nicht nach.
Auch die weiteren drei ausgedehnten Stücke brillieren mit kompositorischen und solistischen Top-Leistungen. Ein Genuss sind die erst gaukelnden, dann Wehmut vermittelnden, durch Dämpfer erzeugten Trompetenlinien Fekete-Kovács’ in »And A Half Weeks«, die schließlich in kräftige Motivik münden. Aus einem ostinat vorgetragenen Gitarrenriff in »The Funeral Of The General« entwickelt sich eine weitbogige Scat-Vocal-Improvisation (Gábor Winand) von großer magischer Eindrücklichkeit, die von Babos’ Gitarren-Solo aufgefangen wird – klasse!
Rhythmischen Stoff vom Feinsten bietet das letzte Stück (»Öt-Lett«). Das Wortspiel verweist auf die Idee des Fünfvierteltaktes. Wie sich aus dem Riff und der Gitarren-Impro das weitgestreckte Thema entwickelt, macht einfach Spaß und verdeutlicht: Ja, wir sind im Heute! Seit über vierzig Jahren!
Von Mathias Bäumel
Gyula Babos: »Babos’ Makrokozmosz«, BMC Records CD 234/Vertrieb note1-music