Von Dietrich Schlegel – Eine der schönsten und originellsten CDs dieses Jahres ist zweifellos „IN YOUR OWN SWEET WAY – A Tribute To The Great Dave Brubeck“, ein Duo der Aachener Sängerin/ Saxophonistin Sabine Kühlich und der Kölner Pianistin Laia Genc (Double Moon Records). Gut Ding will Weile haben – das alte Sprichwort trifft haargenau den Werdegang und Reifeprozess, den dieses Album seit 2009 bis zum Release im Frühjahr durchschritten hat. Über den Verlauf gaben die beiden erfolgreichen und sympathischen Musikerinnen, die sich längst mit Konzerten, Festivalauftritten und CDs in der Jazzszene behaupten, in einem lebhaften Gespräch mit der JazzZeitung ausgiebige Auskunft. Vor bald sechs Jahren hatte Sabine Kühlich auf Anfrage einer Veranstalterin nach einem „Tribute“-Wochenende mehrere Vorschläge unterbreitet. Die Wahl fiel auf Dave Brubeck. Bald wurde daraus die Idee eines Duo-Projekts. „Ich brauchte nicht lange zu überlegen, mit wem ich diese Aufgabe realisieren könnte“, berichtet Sabine, „das war Laia, mit der ich gerade eine weitere Folge unseres jazzpädagogischen Lehrgangs ‚Jazz for Kids‘ gemacht hatte. Auch von anderen gemeinsamen Projekten kannte ich sie gut, und ich war überzeugt, dass ich mich mit ihr an Brubeck heranwagen könnte, gerade weil sie aus einer ganz anderen Ecke kommt.“
Tatsächlich war Laia Genc mehr von Bill Evans und Keith Jarrett beeindruckt, hatte in Köln bei John Taylor und Hubert Nuss studiert. Sie musste sich erst an Brubeck herantasten: „Ich habe ihn nicht bewusst als Pianisten gehört, sondern erst durch seine großen Kompositionen schätzen gelernt. Tatsächlich war ‚In Your Own Sweet Way‘ das erste Stück von Brubeck, dem ich begegnet bin. Es hat mich gleich gefesselt, habe es dann in vielen Versionen berühmter Interpreten gehört und finde es bis heute wirklich sehr schön. Nicht von ungefähr fand es Eingang in das Great American Songbook. Später dann gefielen mir auch seine anderen berühmt gewordenen Kompositionen wie ‚Blue Rondo a la Turk‘, und ‚Take Five‘, vor allem wegen ihrer komplexen Rhythmik.“
Sabine dagegen hatte schon seit den Anfängen ihrer Musikstudien, als sie erst 15 Jahre alt war, eine Beziehung zu Brubeck aufbauen können. Sie lebte damals in der DDR, in Gera. Es gab nur wenige Platten mit amerikanischem Jazz. Ihr Musiklehrer überließ ihr eine Kassette mit Mitschnitten allermöglichen Musiker, von Artie Shaw über Archie Shepp bis hin zu eben Dave Brubeck mit „Take Five“, von dem Sabine besonders fasziniert war: „Damit hat mir damals mein Saxophonlehrer ein wichtiges Implantat ins Herz eingepflanzt, ein Fundament gelegt, auf dem ich meine Studien aufbauen konnte.“
Von diesen verschiedenen Ausgangspunkten aus gingen Sabine und Laia daran, sich Brubeck zu erarbeiten, ihn sich zu erobern, ohne aber – das stand von vornherein fest – ihn zu imitieren, zu kopieren, gar zu plagiieren, vielmehr seine Kompositionen als eine Vorlage, eben ein Fundament zu nutzen, um daraus ein jeweils eigenständiges Werk zu entwickeln und ihn dennoch erkennbar zu lassen. Dieser Prozess erforderte harte Arbeit. Laia: „Wir haben sehr lange für diese Form des Zusammenspiels gebraucht, sehr viel darüber nachgedacht, wie man Brubeck gerecht wird. Neben unseren anderen beruflichen und familiären Verpflichtungen war auch das ein Grund dafür, dass es mit dieser CD so lange gedauert hat. Nach den ersten Konzerten haben wir auch hilfreiches Feedback von Kollegen und Kritikern bekommen. Man fragt sich zwischendurch unwillkürlich auch mal, was hätte Brubeck dazu gesagt, was wir hier aus seiner Musik gemacht haben? Und meine Antwort ist, innerhalb der vorgesteckten Grenzen der Kompositionen die größtmögliche Freiheit zu erreichen, und dennoch bleibt es immer noch diese seine Musik. Das mir das gelungen ist auf dieser Platte, sehe als meinen persönlichen Erfolg an.“
Sabine kann das nur bestätigen und ergänzt: „Ich arbeite deswegen so gern mit Laia zusammen, weil wir uns auf diesem Kosmos bewegen zwischen der Komposition, der eigenen emotionalen Stimmung und dem Moment, in dem die Musik dann entsteht, also dem Input, der vom Klavier kommt. Alles beeinflusst sich gegenseitig, begeistert sich hin und her und wieder zurück, und manchmal ist es mein eigener Gedanke, den ich fortsetze, manchmal nehme ich auf, was von Laia kommt. Wir mussten auch immer schwierige Entscheidungen treffen, wie geht man zum Beispiel an so eine schwierige Komposition wie ‚Blue Rondo a la Turk‘ heran, für die schon Al Jarreau einen tollen Text geschrieben hat? Oder ‚Take Five‘ mit den schönen Lyrics von Brubecks Frau Iola, so oft gespielt, so oft gehört. Was machen wir jetzt damit? Es gibt so viele fantastische Vorbilder, und so ist dieses Album nicht nur eine Hommage an Dave Brubeck, sondern auch an seine großen Stücke und ihre großen Interpreten.“
Das Faszinierende auf dieser CD ist, wie sich die beiden Musikerinnen aufeinander einlassen, sich umspielen und „umsingen“, auch Kontraste setzen, etwa wenn Laia mit ihrer starken linken Hand eine enorme Spannung erzeugt zu den melodischen Linien, die von Sabines schöner Altstimme getragen werden. Sie nutzt die Lyrics von Iola Brubeck, Al Jarreau und Kurt Ellings „Those Clouds Are Heavy, You Dig“ nicht nur dicht an der komponierten Melodie oder sie modulierend, sondern fügt auch passagenweise locker improvisierte Scats ein. Sabines und Laias „Take Five“ gerät so zur vielleicht aktuell einfallsreichsten und eigenständigsten Version dieses viel gespielten und – mit Verlaub – oft genug auch versauten Welthits. Hier kontrastieren Laias Ostinato-Rhythmus mit der Linken sowie ihre Eingriffe ins Innere des Flügels in ausgefeilter Spannung mit Sabines Text- und Scatgesang sowie ihrem Altsaxophon, das sie hier auch in Erinnerung an ihre Jazz-Initiation in Gera spielt, als „ich Paul Desmonds Solo auf meinem Saxophon (übte)“.
Auch heute noch spielt sie ihr Sax „desmondesque“ – „und dazu stehe ich nicht nur, sondern stehe auch drauf“, erklärt sie lachend. Sie versteht sich nicht als „hauptberufliche Saxophonistin“, hat sie doch längst ihre eigentliche Berufung im Gesang gefunden (siehe JazzZeitung 01/2008: „Alternative zur nordischen Welle – Sabine Kühlich – Vocalistin und Multitalent). Sie fügt hinzu: „Zwar liebe ich das Instrument, aber ich spiele es eher als ‚Bossa-Nova-Saxophon‘, weil ich diesen soften Ton besonders mag. Ich bin auf dem Saxophon schon immer in ästhetischer Hinsicht eine Mischung aus Stan Getz und Paul Desmond. Das war auch der Grund, warum ich die Saxophonparts auf diesem Album selbst eingespielt habe, denn das entspricht besser unserem Grundkonzept, als wenn wir einen unserer großartigen Saxophon-Kollegen eingeladen hätten. Wir hatten das diskutiert, aber Laia sagte schließlich: ‚Ich finde gut, wie du das spielst. Lass uns alles selbst machen‘.“ Und dieses Saxophon passt wunderbar auch in die rein instrumentalen Titel wie „Three To Get Ready“ oder „Koto Song“.
Von den 15 Stücken des Albums stammen neun von Brubeck, je eines von Johnny Mandel („Emily“), Harline Leigh („When You Wish Upon A Star“) und Paul Desmond (sein Solo in „Koto Song“, von Sabine mit einem ihrem Vater und ihren beiden Söhnen gewidmeten anrührenden Text versehen). Am Ende findet sich je eine Eigenkomposition der beiden Musikerinnen: „For Mara“ von Laia und „The Message“ von Sabine, auch das mit einem eigenen, gedankenreichen Text. In ihren Konzerten spielen sie stets auch eigene Stücke. Auf dieses Album aber gerieten ihre eigenen Titel gewissermaßen wie von selbst, „einfach Geist vom Geist des ganzen Projekts“, wie Laia meint. Und Sabine sieht sich eh in ihrem kompositorischen Schaffen von Brubeck beeinflusst, vor allem auch darin, in “ krummen Metren“ zu schreiben. Beide Stücke stellen den krönenden Abschluss dieses rundum gelungenen Albums dar. Es besticht auch durch die große Sorgfalt, mit der die Musik aufgenommen wurde (durch Markus Braun, Tonmeister und als Bassist selbst Jazzmusiker) sowie durch das ausführliche, anspruchsvoll gestaltete Booklet mit schönen Fotos und höchst informativen Texten (deutsch und englisch) der Jazzpublizisten Hans Hielscher und Stefan Hentz – nicht zuletzt auch der beiden Protagonistinnen selbst. Zu empfehlen ist, zuerst die Musik zu hören, danach die Beiträge im Booklet zu lesen, um dann die Musik nochmals zu hören und zu genießen.
Zu Beginn des Neuen Jahres wird das Brubeck-Projekt in einer Reihe von Konzerten präsentiert (u. a. in Köln, Hürth und Essen), einige Male in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Ilse Storb, die 1973 ihre Habilitationsschrift über Dave Brubeck vorlegte und als Freundin und Kennerin des Pianisten Einblicke in seine Musik und seine Person geben wird.
Ein anderes in diesem Jahr als Konzertmitschnitt erschienenes, außergewöhnliches und in der Fachpresse hochgelobtes Album, an dem Sabine Kühlich (voc + as) und Laia Genc (p + voc) maßgeblich beteiligt sind, ist das Projekt „Lines for Ladies“ mit der hervorragenden Stuttgarter Sängerin Anna Czichowsky. Special guests sind die Amerikanerin Kristin Korb (b + voc) und die große alte Dame des Jazzgesangs, die legendäre Sheila Jordan (HGBS blue records).
Näheres zu den, Musikerinnen, ihren CDs, Projekten und Konzerten bei www.swinging-brubeck.de; www.sabinekuehlich.com; www.laiagenc.com; www.linesforladies.com.
Hingewiesen sei an dieser Stelle auch auf die geistes- und seelenverwandte CD „I Remember Paul“, eine Hommage an Paul Desmond der Altsaxophonistin Ilona Haberkamp und ihres Paula Dezz Quartetts feat. Ack van Rooyen (Laika redords 2009).