Von Michael Scheiner – Bei dem mittlerweile 52-jährigen Finnen Kimmo Pohjonen ist die Versuchung groß zum nächstliegenden Superlativ, einem abgegriffenen Klischee oder zur größtmöglichen Übertreibung zu greifen. Irgendwie scheint man ihm nur gerecht werden zu können, wenn vom „Akkordeon-Punk“, dem „Jimi Hendrix des Akkordeon“, Derwisch oder der „nordischen Variante von Mad Max“ die Rede ist. Tatsächlich wirkt sein oft pathetisches Spiel auf dem Akkordeon wie eine Urgewalt, die über den Hörer hereinbricht. Durchsetzt mit zarten, lyrischen Momenten, volksmusikalischen Anklängen und experimentellem Einsatz elektronischer Mittel wirkt die Ankündigung eines neuen Albums wie eine Verheißung! Das programmatische „Sensitive Skin“, schon seit über einem Jahr auf dem Markt, ist Pohjonens jüngste Veröffentlichung und so etwas, wie die Summe seiner bisherigen künstlerischen Arbeiten. Diese umfassen Filmmusiken, wie das preisgekrönte Animationsepos Jade-Krieger, ebenso wie Kompositionen für und Aufnahmen mit dem Kronos Quartet, diverse Soundprojekte, die großartige Filmbiografie „Soundbreaker“ von Kimmo Koskela, Lehrtätigkeiten und ein Repertoire, das zwischen Volksmusik, Heavy Metal, Klassik und Improvisation ein kaum vorstellbares riesiges Spektrum abdeckt.
Ohne Übertreibung kann man sagen, dass er die schon weiter gewordenen Grenzen des Akkordeons noch einmal um einige Grade weiter geöffnet und das Soundspektrum noch etwas weiter gesteckt hat. Kein Wunder, hat er doch – unter anderem – bei der Virtuosin Maria Kalaniemi an der Sibelius Akademie in Helsinki studiert. Beeinflusst haben ihn auch der Schwede Lars Hollmer und einige andere Akkordeonisten, die sich zwischen Jazz, Avantgarde und freier Improvisation bewegen. Für die Aufnahmen zu „Sensitive Skin“, an denen auch das Kronos Quartet mitgewirkt hat, hat sich der besessen akribische Musiker einige Zeit gelassen. Weil er fast alles im eigenen Studio machen konnte, war das ohne den Einsatz gigantischer Geldmittel möglich. Neben Kronos, waren etliche langjährige Weggefährten, wie der Schlagzeuger Samuli Kosminen, seine beiden Töchter (voc), der Elektroniker Tuomas Norvio und Arto Järvelä (nyckelharp) an den Aufnahmen beteiligt. Wie meistens, schert sich Pohjonen auch auf dem aktuellen Album weder um Stilgrenzen, noch um Hörerwartungen. Musikalisch sucht der um prächtige Showeffekte nie verlegene Finne, dem es im Kern aber immer um die Musik geht, um die künstlerische Auseinandersetzung, das Widerborstige, die Differenz. Erscheint etwas hauptsächlich schön und harmonisch glatt, scheint er Unbehagen zu empfinden. Bei aller Widerborstigkeit und Reibung verliert der muskelgestählte Instrumentalist nie die Balance zwischen kompositorischer Komplexität, packendem Groove und Verträglichkeit aus dem Auge. Seine anspruchsvollen Kompositionen sind dennoch nur selten vorhersehbar. Was genußfreien Spaßhörern eine Gänsehaut verursacht, ist jedoch für wache Ohren ein helles Vergnügen. Der eigenwillige Stilmix, der sich auch hier findet, ist längst zu Pohjonens bevorzugtem Ausdrucksmittel und einer eigenständigen, ausdrucksstarken Sprache geworden. Etwas bombastisch manchmal, aber voller Energie, zeugt die Musik von einer grenzenlosen Leidenschaft. Kimmo Pohjonen, Sensitive Skin, Octopus 413-2 (Naxos Deutschland)