Von Stefan Pieper – Das Theater Gütersloh bietet als moderne Spielstätte auch für Jazz optimale Bedingungen – mittlerweile gehört der im Jahr 2010 fertiggestellte Bau zu den „Lieblingslocations“ des WDR für das Aufnehmen hochkarätiger Konzerte. Der jüngste Wurf der CD-Edition „European Jazz Legends“ legt die Messlatte noch einmal weiter nach oben: Michel Portal und Richie Beirach für eine Konzertaufnahme im Frühjahr 2016 zum ersten Mal aufeinander – hinzu kam die WDR-Bigband als in jeder Hinsicht flexibler Klangkörper.
Über drei lange Stücke, die zusammen eine Suite namens „Esquisse“ bilden, gehört die Bühne allein dem französischen, aus dem Baskenland stammenden Reeds-Spieler und dem heute in Deutschland lebenden US-Pianisten. Man fühlt sich vom ersten Ton an erhoben auf ein erhabenes Plateau von musikalischer Reife! Da lebt traumwandlerisch ausgeschlafene Kommunikation zwischen zwei Spielern, die sich nichts mehr zu beweisen, aber dafür umso mehr zu sagen zu haben. Geschichten erzählen, Traumsequenzen abbilden und sich im angeregten Dialog reiben und messen– darum geht es. Die drei Stücke transportieren jeweils andere Grundstimmungen bzw. haben jeweils eine ganz spezifische „Erzählstruktur“. Im ersten Teil geht es betont rezitativisch zur Sache. Wenn Portal dann im Part 2 zum Sopransax wechselt, wird es spürbar ekstatischer, ja manchmal regelrecht „coltranesker.“ Der letzte Part dieser Trilogie bündelt umso mehr die motorische Sogkraft, jetzt werden satte Ostinato-Figuren des Pianos zum Motor für den niemals versiegenden Ideenfluss dieses Duos. Die Symbiose zwischen den beiden ist unerschütterlich. Beirach legt eine kraftvolle Pranke auf dem Flügel an den Tag – wohl wissend, dass Portals Spiel so viel druckvolle Energie bestens verträgt. Beide könnten stundenlang so weitermachen und doch wäre es nie eine Sekunde zu viel…
Im Grunde genommen sind sich diese beiden Ausnahmespieler im besten Sinne selbst genug auf dieser Platte. Aber die spätere Ausweitung des Rahmens kann nur bereichernd wirken: Zusammen mit der WDR-Bigband zeigt sich der legendäre französische Klarinettist und Saxofonist als ausgeschlafener Teamplayer – wenn sein Spiel andere Solisten befeuert und er so ganz uneitel in einer organischen Band-Chemie aufgeht. Portal kann eben auch ein generöser Teamplayer im großformatigen Klangkörper sein, um – hier gerne auch mit sattem funkigen Biss – die eigene Spielfreude mit vielen zu teilen.
Mit einem weiteren, charmanten Extra wartet dieser Tonträger auf: Ein Interview-Mitschnitt wirft Schlaglichter auf den Menschen hinter dieser Musik. Portal ist ein humorvoller Gesprächspartner, der unterhaltsam von seinen Prägungen, Schlüsselerlebnissen, Leidenschaften erzählt. Soviel ist klar: Jazz ist für den Franzosen ein großes tolerantes Sammelbecken für Klänge, Ideen und Lebensgefühl – getreu dem eigenen Credo: „Wenn ich Brahms spiele, heißt dies nicht, dass ich Charlie Parker dabei vergessen würde.“
CD: Michel Portal: Radar – live at Theater Gütersloh
(Double Moon Records)