Das Bayerische Jazzweekend – ein Spaziergang

aruan2Text und Foto: Michael Scheiner – Bei einem Streifzug durch das Bayerische Jazzweekend kann man einiges erleben. An einigen Stellen, meist Übergängen zwischen Plätzen und verschiedenen Spielorten hat man als Flaneur auf der einen Seite noch den launigen Dixieland der Berliner „Dizzy Birds“ im Ohr, während einem bereits die düster-schweren Klavierklänge des in New York lebenden Kubaners Aruán Ortiz in den Gehörgang des anderen Ohres kriechen. Dazwischen schnappt man noch einige Takte eines funky Acidjazz-Groove auf, der aus dem Zelt eines Kartenverkäufers quillt. Nur wenige Schritte weiter in einem Durchgang dann ein Saxofonsolist mit einem unsäglichen Poprührstück, der auch etwas vom großen Aufmerksamkeitskuchen abbekommen will.

Neben der verbreiteten Kategorie der Jazzweekend-Flaneure, die sich drei oder vier Stücke einer Band anhören, während des Applaus aufstehen und weiterziehen, gibt es ortsfeste Zuhörer. Sie bleiben auf ihrem einmal ergatterten Platz sitzen und hören sich oft mehrere Bands hintereinander an. Im Hof des Thon-Dittmer-Palais eröffnete heuer die Schlagzeugerin Eva Klasse mit ihrem Trio „No Kissing“ den Abend. Zusammen mit Alma Neumann am Kontrabass und E-Gitarrist Werner Neumann entfaltete sie einen hybriden Kosmos aus heftig grollenden Klangbrechern, leisen Stimmungen und wie gezirkelt wirkenden schwebenden Soundbildern. Ungewöhnlich ist nicht nur das weite spannungsreiche Spektrum von wilden, ungehemmten Soundgewittern, die in hohen Wellen durch den Hof schwappen, und innerer Ruhe. Ungewöhnlich ist auch (noch) ein Trio, das vor einer Musikerin geleitet, aus zwei Frauen und einem Mann besteht. Der Jazz ist lange noch nicht soweit gleichberechtigt, dass eine solche Konstellation selbstverständlich wäre. Musikalisch auf jeden Fall ist das Trio mit Klesse, die eigentlich Klasse heißen müsste und eine ebensolche für sich ist, ein tierisches Erlebnis. Es hätte gut und gern den gleichen Zuspruch verdient, wie das nachfolgende Ortiz Trio, bei dem kein Stuhl frei blieb. Die Reizworte “kubanisch“ und „Tastenzauber“ – von dem der waghalsige Pianist meilenweit entfernt ist – in den Programmen haben ihre Wirkung offensichtlich aufs Beste entfaltet.

Weg von den musikalisch und rhythmisch komplexen Ereignissen, boten „Fisches Brew“ und „Note Azure“ entspanntes Vergnügen auf je eigene Weise. Das junge Regensburger Saxophonquartett „Fisches Brew“ besteht aus altbekannten Gesichtern, wie dem Holz- und Tubabläser Bertl Wenzl, und den wenig bekannten Musikern Claudia Kröger (as), Franz Schnell (ss) und Baritongroover Markus Heinze. Fast 40 Jahre nach Gründung der ersten reinen Saxofonensembles bringen die vier einen spritzigen Retrosound auf die Bühne, der Wumms und Lust versprüht. Arrangements voller Witz, Charme und vor allem – einer hinreißenden Anti-Coolness. Selbiges ließ das Münchner Trio „Note Azure“ im Brauhaus am Schloss ein wenig vermissen. Sängerin Stefanie Tornow, Bernhard Wimmer an der Jazzgitarre und Saxer Christoph Lehner, der auch mal Holzkiste Cajón mit Besen trommelte, pflegen ein gepflegtes musikalisches Unterhaltungsprogramm. Ihr Mix aus mit geschmeidiger Stimme gesungener Mackie-Messer-Ballade, brasilianischem Bossa Nova und Jazzstandards wie „Fly Me To the Moon“ mäandert ziellos durch die populäre Musikgeschichte. Anders gesagt, die schön gesungenen Nummern gehen zum einen Ohr rein, zum andern raus.

Auch bei der Bandleaderin Angela Avetisyan mit ihrem Quartett dauerte es etwas, bis sich etwas im Ohr festzusetzen begann. Die aus Armenien stammende Trompeterin hat in Jekaterinenburg, Freiburg und zuletzt bei Claus Reichstaller in München studiert und ihren Master gemacht. Mit ihren drei Männern, Schlagzeuger Shinya Fukumori, Robin Jermer am funky E-Bass und Keyboarder Misha Antonov, spielte sie eigene Songs aus ihrer ersten, „einer alten CD”, wie sie sich charmant verhaspelte, modernen Jazzstandards und knackigen Rapnummern von Massive Attack und Samy Deluxe. Nach einigen Balladen fragte sie, selbst leicht verunsichert, das eifrig lauschende Publikum. „Ist euch nicht langweilig?? Wir haben so viele Balladen geprobt…“. Entschiedene Nein-Rufe bewogen die, nicht nur wegen ihres geschmeidigen und superklaren Spiels angehimmelte Musikerin, doch zu einer schnelleren, sehr funkigen Gangart. Einer feinsinnigen Version von Coltranes „Naima“, bei dem Avetisyans dunkel leuchtende Trompete ein wenig an Chet Baker erinnerte,  mischte Keyboarder Antonov zuviel Soundgeblubbere und –blasen ein. Schade. Musikalisch noch unentschieden zwischen Fusion, harten Grooves, Funk und modernem, etwas zu gefälligem Jazz, hat die technisch hervorragende Musikerin einige Menge Potential. Damit kann sie irgendwann auch Deutschlands Vorzeigestar Till Brönner künstlerisch die Stirn bieten. Nach diesem groovebetonten „Spectacle“ legte „Tom Tornados Club Edition“ noch eine ordentliche Schippe drauf und setzte den Leeren Beutel musikalisch in Brand.

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