Joachim Kühn: Der nächste kühne Schritt des Giganten

Joachim Kühn Trio mit Chris Jennigs und Eric Schaefer. Foto Tonstudio Bauer
Joachim Kühn Trio mit Bassist Chris Jennings (rechts) und Schlagzeuger Eric Schaefer. Foto: Tonstudio Bauer

1966 verschafften dem 22-jährigen sein Bruder und der österreichische Pianist Friedrich Gulda die Möglichkeit zur Flucht aus der DDR, deren gesellschaftliches Klima ihn künstlerisch beengte. Schnell wurde Joachim Kühn zu einer festen Größe im europäischen und internationalen Jazz. Seine aktuelle Tournee führt den Giganten des Jazzpianos nun wieder nach Deutschland. Das erste Konzert gibt er zu den Jazztagen in Ilmenau.

Im Trio mit zwei „jungen Wilden“ stellt er das Projekt „Beauty & Truth“ vor. Es ist Sinnbild für einen musikalischen Aufbruch im Jazz und steht gleichzeitig für gelebte Jazzerfahrung. Die zugehörige CD erschien im März auf dem Label ACT. Kühns Weg war lang, seine Spur auf unserem Globus ist kaum zu übersehen.

In seinem Solospiel hat er immer wieder deutsche Romantik und französischen Impressionismus mit den harmolodischen Prinzipien des Free Jazz zusammengeführt. Daneben hat er mit BigBands gearbeitet, Ballettmusiken geschrieben und 2002 mit dem Thomanerchor ein Bachprogramm aufgeführt. Einerseits einer der führenden Jazzpianisten weltweit, pflegte er auch ein Faible für Rockmusik und elektronische Instrumente. Dem am 15. März 1944 in Leipzig in eine Artistenfamilie Hineingeborenen, der im ummauerten Land frühe Erfolge feierte, wurde das gar zu überschaubare Revier bald zu eng. Mit Traditionen der alten und den Aufbrüchen der Jazz-Avantgarde der neuen Welt in Kopf und Fingern war er als 23-Jähriger schon im Gral des freien Jazz angekommen bei Bob Thiele und seinem Label „impulse!“ in New York.

Dort bekam der neue Jazz mit John Coltrane, Archie Shepp und Albert Ayler Kontur und Relevanz. Gemeinsam mit seinem 15 Jahre älteren Bruder Rolf nahm er dort das wundervolle Quartettalbum „Impressions Of New York“ auf mit keinem Geringeren als Coltrane-Bassist Jimmy Garrison in den eigenen Reihen. Später dann war er in den Jahren vor der Jahrtausendwende der Duo-Partner Ornette Colemans. Er lebte in New York und Paris und ist nun seit Langem schon auf seiner Finca nah der Meeresküste der Baleareninsel Ibiza daheim, wo sein Flügel steht, wo er malt und seine musikalischen Visionen weitertreibt.

Der vielfache Pollgewinner Joachim Kühn ist auch einer der Hauptprotagonisten des akustischen Pianotrios im Jazz, ein Pionier der bläserlosen, aktuell immens einflussreichen Konstellation, der mit Schlagzeuger Daniel Humair und Kontrabassist Jean-François Jenny-Clark bis zu dessen frühem Tod im Jahr 1998 kontinuierlich Maßstäbe setzte und Türen öffnete. Mit Ramon Lopez und dem marokkanischen Guembri-Virtuosen Majid Bekkas hat er das fortgesetzt und in einer Art erdig-wuchtigem Wüstenjazz dem Format eine weltmusikalische Dimension eingeschrieben, vor zwei Jahren sogar mit Tenorsaxofonist Archie Shepp als Gast.

In einem nächsten kühnen Schritt gab der inzwischen 71-Jährige seiner Arbeit im kammermusikalischsten Kleinkosmos des Genres im letzten Sommer ein überraschendes Update. Ein neues Trio präsentiert er mit Musikern der nächst jüngeren Generation: dem Schlagzeuger Eric Schaefer, der bekannt ist als Michael Wollnys kongenialer Triopartner, und dem Bassisten Chris Jennings. Die zwölf Stücke bleiben konzise und zupackend beim Kern der jeweiligen Sachen, konzentrieren sich auf Singlelänge und präsentieren zwischen Ballade und Uptempo sämtliche Qualitäten Kühns in diesem neuen Kontext – seinen fein ziselierten Umgang mit dem Ausgangsmaterial, seine wuchtig, kantigen Arpeggien, seine Stärken im eng verzahnten Mannschaftsspiel und seine fantasievollen improvisatorischen Zugänge zu Themen, die seine musikalische Sozialisation ausmachen.

Entstanden ist ein eingängiges Album voller Finesse. Der Spaß daran wird noch gesteigert, weil man viele der Stücke kennt, denen dieses neue Kühn-Trio seine Individualitäten einschreibt. In einem kurzen Intro erinnert Kühn als Solist im Titelstück „Beauty And Truth“ an Ornette Coleman, um dann in Triostärke „The End“ von den Doors zu zelebrieren, dem im Fortgang der kurzweiligen Ereignisse noch eine Version von „Riders On The Strom“ zugefügt wird. Mit Neudeutungen von zwei Stücken des polnischen Pianisten Krzysztof Komeda und vier Kompositionen des Bandleaders Kühn einerseits und andererseits Gil Evens’ „Blues For Pablo“ und Gershwins „Summertime“ wird eine Spanne zwischen europäischem und amerikanischem Jazz aufgemacht und ausgeschritten. Lauter biografische Fixpunkte legt Kühn an seine Leine, um sie offensiv, verschmitzt und gar nicht vertrackt logisch, plausibel und ungeschwätzig aufeinander folgen zu lassen. Und weil die Geschichte immer weitergehen muss, integriert er schlüssig in diesen Reigen auch das von Eric Schaefer ins Studio mitgebrachte „Sleep On It“ der Dub-Reggae-Band Stand High Patrol als eingängige Präziose und als Sinnbild dafür, wie diese immer neuen Aufbrüche zwischen Neugier und Erfahrung angesiedelt sind.

Ulrich Steinmetzger

 

Joachim Kühn New Trio: Beauty & Truth.

ACT/edel:kultur. Spieldauer 48:39

 

Konzerte in Deutschland:

Ilmenau (Thüringen). Freitag 22. April, 20:00 Uhr

Audimax im Humboldtbau der TU Ilmenau / 43. Jazztage Ilmenau

Freiberg (Sachsen). Samstag, 23.April, 20:00 Uhr
Mittelsächsisches Theater, Buttermarkt
42. Jazztage Freiberg

Timmendorfer Strand. 26. Juni, 13:00 Uhr
Große Halle
Jazzbaltica 2016   

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