Kalenderwoche 4 – Mehr Jazz geht kaum

Von Ralf Dombrowski – Manchmal bleibt es rätselhaft, warum sich Musiker mit einer bestimmten Band umgeben. Man stelle sich vor, Jazzmeia Horn hätte bei ihrem Gastspiel in der Münchner Unterfahrt ebenbürtige Kollegen an ihrer Seite gehabt. Aus dem so schon erstaunlichen, vor Präsenz und Persönlichkeit nur so sprühenden Konzert wäre wahrscheinlich ein musikalisches Erlebnis geworden, das jeder im Club noch seinen Enkeln erzählt hätte. So jedenfalls konnte man vor allem eine Sängerin erleben, die viele ihrer Stimmgenossinnen mühelos abhängt, weil sie sich der Lieder, die sie präsentiert, mit einer Selbstverständlichkeit annimmt, die jedes Wort, jede Geste, jedes Ornament zu einem Ausdruck ihrer Überzeugung und Gegenwart werden lässt. Jazzmeia Horn lebt die Standards mit jedem Hauch ihres Atems. Sie hat eine betörend charmante, umfassende Stimme, hat Soul, Swing, kann Scatten, doch ihre große Besonderheit ist das ergreifende Storytelling, kulminierend etwa in einem „Lush Life“, das zu Tränen rühren konnte.

Damit war sie das Zentrum einer Jazzwoche, die München in schlafraubender Dichte ein grandioses Konzert nach dem anderen bot, wobei jedes für sich kaum unterschiedlicher hätte sein können. James Carter zum Beispiel, der Hochleistungssaxophonist aus den Neunzigern, kam im Trio mit dem Organisten Gerard Gibbs und Drummer Alex White in die Unterfahrt. Den Hang zum Zirzensischen hatte er noch immer, schaffte es aber, trotz bewährter Gimmicks wie knallenden Stopps, ausgedehnter Zirkulationsatmungstöne oder wild coltranesken Tonflächen, immer wieder zum Kern amerikanisch souligen Gefühls zurückzufinden, was nicht zuletzt auch an seinen ebenso agilen wie lässig kommunizierenden Begleitern lag.

Tags zuvor war im selben Club das Trio des Pianisten Pablo Held zu Gast. Laut Ansage wollten sich die Musiker treiben lassen und im Laufe zweier starker Konzerthälften gelang ihnen dieser Strom der Intuitionen um ein Orientierungsgerüst eigener Kompositionen mit der Unmittelbarkeit eines seit zehn Jahren bis in die Nuancen hinein verfeinerten Bandflows, der ebenso fein wie pointiert Songarchitekturen generierte. Demgegenüber wirke das Quartett des israelischen Saxophonisten Oded Tzur bei der Matinee des BWM Welt Jazz Awards weitaus reservierter, konstruierter. Auch hier wurde mit dynamischen Extremkontrasten vom kaum Hörbaren bis zum Überbordenden gearbeitet. Doch die Musik wirkte dabei trotz ekstatischer Passagen konstruiert und konnte die Distanz zur eigenen Konzepthaftigkeit nicht überwinden. Trotzdem war es ein gelungener, weil pastellfarbiger Abschluss einer Musikwoche, die etwa mit Christopher Dells Trio D.R.A. noch weitere Herausforderungen hätte bieten können, hätte nicht irgendwann auch der Nachtschlaf sein Recht eingefordert.

Die Eindrücke der Jazzevents hielt Ralf Dombrowski in seinen wirkungsvollen Fotos fest.

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