Text und Fotos von Ralf Dombrowski – Die Karawane ist wieder unterwegs. Europa wird bespielt von einer Schar internationaler Jazzkoryphäen und Publikumslieblinge, die seit Mitte Juni die großen Festivals beglücken. Einige davon sind Saurier des Geschäfts wie Chick Corea, Herbie Hancock, Charles Lloyd oder auch Tony Bennett, der auf seine alten Tage sich mit Lady Gaga als Sahnehäubchen des soliden Swings zusammengetan hat. Andere hört man in den kleineren Sälen, was ihre Kunst durchaus beflügeln kann.
Vijay Iyer zum Beispiel gab sich mit Bassist Stephan Crump und Drummer Marcus Gilmore im Teatro Morlacchi die Ehre, der Bühne in Perugia, die während des Umbria Jazz Festivals für die modern jazzigen Konzerte zuständig ist. Seiner Musik tat das Ambiente eines ehrwürdig bürgerlichen Schauspielhauses gut, denn es un terstrich die Tendenz zum Kunstanspruch, die die kollektiven Energieschübe umgab, die er mit seinem langjährigen Trio präsentierte. Es war Stukturarbeit auf hohem Abstraktionsniveau, changierend zwischen Momenten des pulsierenden Flows und Gegenstücken motivisch extrem durchformter Passagen. Zuweilen auf Suitenlänge gedehnt, entstanden Redundanzen, die aber durch den gesamten Spannungsbogen eines konzentrierten Konzerts wieder Sinn machten.
Diese Gegensätze passten zum ganzen Umbria Jazz Festival, das noch bis zum kommenden Sonntag das Leben in und um Perugia bestimmt. Auf der einen Seite kann man Musik erleben, die den Intellekt und die Hörgewohnheiten herausfordert, Konzerte des norwegischen Gitarristen Jakob Bro zum Beispiel oder eben auch von Vijay Iyer. Darüber hinaus aber steht das Festival, das seit 1973 zu der historisch bedeutsamen und zugleich quirlig studentischen Stadt gehört, für den Überschwang, für Konzerte unter freiem Himmel vor stimmungsvoller Kulisse, für Party bis in die lauen Morgenstunden.
Die Akzeptanz unter den Besuchern ist groß und so kommt es, dass beim Umbria Jazz Musiker auf Bühnen wie der Arena Santa Giuliana spielen, die das Ausmaß eines Sportstadions hat. Das gilt für internationale Berühmtheiten wie Cassandra Wilson oder Gilberto Gil im Gespann mit Caetano Veloso ebenso wir für die heimischen Heroen. Paolo Fresu zum Beispiel stellte bei dieser Gelegenheit seit Projekt Brass Bang! vor, eine stilübergreifende Mikro-Brass-Band mit dem Tubaisten Marcus Rojas, dem Posaunisten Gianluca Petrella und dem New Yorker Trompeten-Kollegen Steven Bernstein. Es war der Versuch, ein wenig Banda mir etwas New Orleans, einer Prise Avantgarde und etwas Humor zusammenzubringen, blieb aber über mehr als eine Stunde hinweg ein Konstrukt ohne gemeinsames gestalterisches Zentrum.
Stefano Bollani hingegen hatte seinen Spaß am Spiel mit ungewöhnlichen Vorgaben. Er präsentiert im Quartet mit Schlagzeuger Jim Black, Bassist Paul Santner und Vibraphonist Jason Adasiewicz seine Deutung einiger Stücke von Frank Zappa, die in der jazzigen Transformation noch an Substanz gewannen. Das lag nicht nur an Bollani selbst, der mit gewohntem Schelmentum und betörender pianistischer Eleganz Stücke von „Bobby Brown“ bis „Blessed Relief“ neu befüllte, sondern auch an Adasiewicz, der seinem Instrument mit berserkerhafter Wucht Energiekaskaden entlockte. Nicht nur Bewährtes, sondern auch solche Experimente wurden beim Umbria Jazz 2015 von einem großen Publikum gefeiert. Denn die Mischung macht’s, Swing, Blues, Party auf den Straßen, Kunst und Spaß für’s Köpfchen an ausgewählten Orten. Und über allem die Aura des angenehmen Lebens, die die Umbrischen Hügel umweht.