Ein Ton, einsam, weit und eindringlich ruft dieser Ton. Eine Verzierung, dann ein zweiter Ton. Lang angehalten, man hört wie die Luft fließt, wie würzig-rauer Sand weht einem dieser Ton ins Ohr. Kraft hat er und nach Sehnsucht klingt er, tiefgründig und lebendig. Er strahlt nicht nur, dieser Ton hat auch dunkle Seiten. Spannung steckt darin und das Bedürfnis, etwas zu erzählen. Unbegleitet erklingt der Trompetenton im „Prolog“. Ein Ausblick darauf, was kommt: Musik, in der Geschichten erzählt werden, in einem verblüffend reifen Gestus. Charakter könnte man das nennen – eigene, unverwechselbare Stimme heißt das bei Sängern. So klingt Trompeter Matthias Lindermayr auf seiner neuen CD „Lang Tang“: wie ein Sänger, der den Hörer mit einer Musik lockt, die in unterschiedlichen Klangwelten aufscheint, aber den roten Faden ihrer Geschichte nie verliert. Von Krautrock à la „Can“ bis „Björk’s“ Electropop, von Miles Davis‘ rockiger Reduktion der 60er Jahre bis hin zur nordischen Melancholie von Trompetern wie Mathias Eick oder Nils Petter Molvær. All das steckt in Matthias Lindermayrs Musik, ohne diese Vorbilder und Stile nachzuahmen. Er hat seine eigene Mixtur gefunden. Der Trompeter und Bandleader, Jahrgang 1987, aus München, hatte als Kind klassischen Klavierunterricht, spielte als Jugendlicher E-Gitarre in Rockbands und studierte dann an der Münchner Hochschule für Musik und Theater Jazztrompete bei Claus Reichstaller. Lindermayr gewann 2012 den Biberacher Jazzpreis und 2013 den Kurt Maas Jazz Award, der ihm einen fünfwöchigen Aufenthalt am Berklee College in Boston ermöglichte. Im Sommer 2013 traf er dort in Trompetenprofessor Tiger Okoshi einen wichtigen Mentor. Der Amerikaner japanischer Abstammung ermunterte Matthias Lindermayr, für ein Stipendium vorzuspielen, und so durfte der Münchner im Herbst 2014 noch einmal nach Boston. Die Erfahrungen der renommierten Jazzschule spürt man in seiner Musik, ohne, dass er deshalb amerikanisch spielen würde. Durch seine Zeit in Berklee ist er als Musiker enorm gereift. (Ulrich Habersetzer für enja). Das Interview führte Ursula Gaisa.
JazzZeitung: Vom Klavier über die E-Gitarre zur Trompete, wie ging das?
Trompete war mein erstes Instrument. Klavier und Gitarre kamen später dazu. Es macht einfach unheimlich Spaß immer mal wieder ein neues Instrument zu lernen weil man schnell Fortschritte machen und neue Klänge entdecken kann.
JazzZeitung: Spielen Sie die anderen Instrumente immer noch?
Klavier jeden Tag zum komponieren. Gitarre leider kaum mehr.
JazzZeitung: Wie hat Berklee und Ihr Stipendium Ihre Arbeit beeinflusst?
Mein Lehrer in Berklee, Tiger Okoshi, hat mein Spiel sehr stark beeinflusst. Außerdem war es spannend zu sehen mit welchem unglaublichen Engegament die Studenten in Berklee teilweise am arbeiten sind. Ich versuche nach wie vor mir diesen energetischen Vibe zu behalten. Davon abgesehen haben mich die 6 Monate im Ausland persönlich unheimlich weiter gebracht. Man bekommt einen anderen Blick auf sein zu Hause, weiß gewisse Dinge mehr zu schätzen und sieht andere Sachen in einem neuen Licht. Eine der wichtigsten Erfahrungen meines Lebens..
JazzZeitung: „Lang Tang“ lautet der Titel Ihres Debuts bei enja. Was bedeutet er?
Lang Tang ist der Titeltrack des Albums. Eines meiner ersten Stücke und wohl mein Lieblingslied auf dem Album. Es ist nach einem Tal in Nepal benannt durch dass ich vor Jahren mal gereist bin.
JazzZeitung: Was inspiriert Sie zu ihren Kompositionen?
Mich inspirieren manchmal Erlebnisse und Personen die Ich kennenlerne, meistens ist es aber Musik die Ich höre. Ich versuche selbst meine eigene Lieblingsmusik zu komponieren und orientiere mich dabei an den Sachen die mich selbst begeistern. Dabei ist Stilistik erst mal komplett egal. Musik muss ehrlich sein und auf irgendeine Weise besonders oder neu.
JazzZeitung: Sind Sie ein Geschichtenerzähler?
Ich bin privat eher ein ruhiger Zeitgenosse und nutze die Bühne und das Improvisieren um all die Gefühle und Stories zu erzählen die ich sonst eher für mich behalten würde.
JazzZeitung: Wie wichtig sind Ihre Mitmusiker?
Extrem Wichtig. Mitmusiker können einen in eine bestimmte Richtung drängen und einem einen gewissen Stil aufzwingen oder die Ideen des Solisten unterstützen und auch mal Platz lassen. Ich versuche meine Mitmusiker danach auszuwählen. Ich mag es wenn meine Musik verstanden wird und mir Platz beim Improvisieren gelassen wird. Das ist nicht immer der Fall, aber auf die Musiker die mit mir mein Album aufgenommen haben trifft das voll zu. Davon abgesehen sind meine Stücke bewusst etwas minimalistisch aufgeschrieben, die Musiker haben viel Freiheit meine Kompositionen zu interpretieren. Mir ist es aber wichtig dass diese Freiheit nicht „missbraucht“ und meine Musik verstanden wird.
JazzZeitung: Genießen Sie es, auf Tour zu sein? Oder nervt es eher?
Ich liebe es! Man verbringt manchmal schon viel Zeit im Zug und Bus aber meistens entschädigen einen die Konzerte dafür.
JazzZeitung: Leben Sie wieder in München? Möchten Sie dort bleiben oder will man nicht weg auf der Geburtsstadt?
Ich wohne seit einigen Monaten in Berlin und studiere für ein Jahr bei John Hollenbeck und Gerard Presencer. Was danach kommt kann ich noch nicht sagen. Vielleicht bleibe ich, vielleicht ziehe ich aber auch wieder zurück in den Süden. Berlin ist sehr spannend und hat eine aktive Szene, in München wiederum sind viele Freunde und Familie.
MATTHIAS LINDERMAYR: Lang Tang, ENJ-9628 2