Die Stadt pulsiert: Eindrücke vom Bayerischen Jazzweekend Regensburg 2015

Moritz Baumgärtner - Melt Trio. Foto: Koch
Moritz Baumgärtner – Melt Trio. Foto: Koch

Von Juan Martin Koch –  Man konnte Matthias Schriefl seine schlechte Laune nicht verdenken. Da entfesselte er im Duo mit der Vokalakrobatin Tamara Lukasheva ukrainisch-alpenländischen Irrsinn mit Methode, doch im Kellergewölbe eines Irish Pub in der Regensburger Altstadt ließen sich einige Stammgäste davon keineswegs in ihrer Konversation stören… Schriefl erging sich daraufhin in manch galgenhumoriger Publikumsbeschimpfung, bis hin zur Androhung, seine Ansagen würden sämtlich im Bayerischen Jazzinstitut archiviert. Überzeugender war der Wahnsinnstrompeter aber dann, wenn er seinen Ärger in der Loopstation aufstaute, um ihm dann mittels eines schaurig-schönen Schredder-Grooves Luft zu machen.

 

Die Stimme als Instrument

Mehr Glück hatte Tamara Lukasheva beim Auftritt ihres Quartetts im „Leeren Beutel“, also dort, wo sonst auch der Jazzclub Regensburg seine Konzerte veranstaltet. Aufmerksam lauschte der Saal ihrem mit Tempo- und Athmosphärewechseln oft mehrfach ineinander verschachtelten, mal textgebundenen, mal in himmelstürmende Vokalisen sich auflösenden Songmaterial. Das dafür erforderliche, komplex ausgeklügelte Zusammenspiel wirkt dabei aber wie aus dem Moment heraus entstanden, weil Pianist Sebastian Scobek, Bassist Jakob Kühnemann und Drummer Dominik Mahnig genauestens auf die Sängerin und aufeinander reagieren. Mahnig sorgte mit einer splapstickartigen, rhythmisch aber genauestens kontrollierten Persiflage auf die historische Gattung der Schlagzeug-Jonglage für einen hinreißend skurillen Duomoment mit Lukashevas faszinierend variablem Stimmorgan.

Dass man mit der Stimme eine gestopfte Trompete imitieren kann (Tamara Lukasheva führte es in Perfektion vor), ist nichts Neues. Dass man aber mit einem gestrichenen Kontrabass einen Saxophonsatz so auffüllen kann, als wäre ein Baritonsax dabei, war eine neue Erfahrung, die man mit dem Michael Binder Sextett machen konnte. Alexander Spengler war es, dem dieses Kunststück gelang, und der so den herrlich homogenen Sound, zu dem Bandleader Binder, Julian Bossert und Markus Harm verschmelzen, um eine Facette bereicherte. Michael Binder weiß sehr genau, wie er diese spezielle Besetzung mit eigenen Stücken und Arrangementes in Szene setzen kann. Seine Kollegen danken es ihm mit kollektiver Sorgfalt und individueller solistischer Klasse.

 

Lukasheva / Schriefl. Foto: Koch
Lukasheva / Schriefl. Foto: Koch

An sechs und mehr Saiten

So wie man es beim über 30 Jahre bestehenden Bayerischen Jazzweekend, einem kostenlosen, größtenteils open air stattfindenen Festival, also mit Konzertorten unterschiedlicher Konzentrationsqualität zu tun hat, so passiert es einem mit großer Regelmäßigkeit, dass man auf alte Bekannte trifft, obwohl man das so gar nicht geplant hatte – zumindest wenn man das Programm nicht sorgfältig genug studiert. Da wartete man zum Beispiel mit gespannter Neugier auf das Berliner „Melt Trio“, als sich herausstellte, dass die drei Herren unter dem lapidaren Namen „Meyer-Baumgärtner-Meyer“ schon 2012 zu Gast gewesen waren… Macht aber nichts, so lange sich Bands weiterentwickeln.

Die Sounds der Brüder Peter und Bernhard Meyer an Stromgitarre und -bass verschmelzen derart perfekt ineinander (der neue Name macht also Sinn), als wäre ein zehnsaitiges Hybridinstrument zu vernehmen. Die Soundeffekte werden mittlerweile etwas reduzierter eingesetzt, dafür schafft Moritz Baumgärtner mit seinem Schlagwerk wunderbar frei pulsierende, im Zusammenhang der oft weit ausfransenden Nummern aber genauestens getimte Rhythmus-Klang-Felder.

Eine Gitarre steht auch im Zentrum der Formation „Bazga“. Steht? Ach was: Uli Weber tänzelt eher, ist in ständigem Blickkontakt mit seinen Kollegen und steckt sie mit sichtbarer Spiellaune hörbar an. Das nimmt dem modernen, eigenständigen Sound die Sperrigkeit, und Evgeny Ring – auch er kein unbeschriebenes Blatt beim Weekend – bläst dazu ein wahrlich mitreißendes Altsaxophon.

Ähnlich gediegen und qualitätvoll das Meretrio rund um den brasilianischen Gitarristen Emiliano Sampaio. Sein dezent elektrischer Sound schielt nicht nach den üblichen Vorbildern Scofield oder Metheny, sondern bleibt wohltuend eigenständig. Im Dialog mit dem extrem versierten E-Bassisten Gustavo Boni ergeben sich großartige Ping-Pong-Soli, Schlagzeuger Luis André entfacht echtes Sambafeuer. Auch in Sachen Songdramaturgie geht das Trio eigene Wege, wenn manchmal nach langer, hymnischer Steigerung der erreichte Höhepunkt gleichzeitig der Schlusspunkt ist.

Und noch ’ne Gitarre: Sie gehört Werner Neumann und hat, den Kratzern und Scharten nach zu urteilen, schon so einiges miterlebt. Wie Neumann selbst vielleicht. Jedenfalls hat man bei jeder Phrase das Gefühl: der Mann hat was zu erzählen. Die nach einer Frau benannte Ballade kündigt er ganz lapidar mit dem Nachsatz an: „Is’ lange her.“ Um dann zu einer Art Americana-Jazz-Hymne zwischen totaler Hingabe und Distanz aufzubrechen.

Eva Klesse. Foto: Koch
Eva Klesse. Foto: Koch

Der Sog, den das Trio „No Kissing“ erzeugt, kommt nicht von ungefähr. Sitzt da doch jene Eva Klesse am Schlagzeug, die die große Entdeckung beim letztjährigen Jazzweekend war und seitdem mit ihrem Quartett Furore macht (u.a. Newcomer des Jahres beim Jazz Echo). Rhythmische Intelligenz, Einfühlungsvermögen, Hingabe – all das bringt sie ins Trio ein, ihr Quartettbassist Robert Lucaciu ist der perfekte Partner.

 

Und immer wieder das Klaviertrio

Das hätte man bei einem erneuten Auftritt des Eva Klesse Quartetts (mit Evgeny Ring…) dann noch einmal genießen können, aber zeitgleich (ein weiteres Phänomen, das in der Natur der Weekend-Sache liegt) lockte das Omer Klein Trio. Was sich schon beim Einspielen andeutete – Klein wärmte sich ganz klassisch mit technischen Übungen und Bach auf –, wurde vom ersten Takt an deutlich: Hier spielt ein Pianist von internationalem Format. Will sagen, die manuelle Beherrschung der Tastatur und die Anschlagsqualität erlauben es ihm, das Instrument in seiner kompletten Ausdruckspalette zu nutzen.

Wenn sich diese Gabe mit einer eigenen Klangvorstellung und entsprechendem Songmaterial verbindet, kann ein solcher Triosound entstehen, wie er am Sontag abend das Publikum von den Stühlen riss. Im Zentrum: wieder erkennbare Melodien mit aparten, perfekt integrierten Wendungen ins Klassische, Impressionistische oder Israelisch-Volksmusikalische und das blinde Verständnis zwischen Haggai Cohen-Milo am Bass und Klein am Klavier. Amir Bresler heizt das Ganze mit explosivem Drum-Groove an; sein von einem Rimshot-Gewitter eingeleitetes Solo war denkwürdig. Aber auch da, wo Omer Klein der Tradition seine Reverenz erweist, ist er hinreißend: „It could happen to you“ als Bebop-Grenzgang, Ellingtons geniales „Azure“ als lyrische Miniatur und zum Abschied Jobims „Chega da Saudade“ als brillante Soloexkursion.

Omer Klein. Foto: Koch
Omer Klein. Foto: Koch

Das Jazzweekend als Nachwuchsbühne: Diese Chance nutzte unter anderem das Kilian Brock Trio und ließ zunächst ganz ungeniert Steve Reich, den Heroen der Minimal Music, sprechen. Aus dem charakteristischen Pattern-Geklöppel schälte sich aber bald eine eigene Songstruktur heraus, in der Pianist Brock, Bassist Johannes Schauer und Schlagzeuger Johannes Wolf sich ihre Spielfelder eroberten. Gut gelang zunächst auch die suitenartige, mit kreativen Freiflächen durchzogene Verbindung dreier Stücke, auf die gesamte Länge hielt der Spannungsbogen dann aber nicht ganz. Gerade in Kilian Brocks eher sparsamem, ausgedünnte Passagen und Pausen bewusst einsetzenden Spiel könnte das Potenzial dieser noch jungen, aber vielversprechenden Formation liegen.

Ein längst eingelöstes Versprechen ist das Trio ELF, das nach dem Abschied von Bassist Sven Faller nun eigentlich Trio ELC heißen müsste. Neuzugang Peter Cudek hat sich, dem Weekend-Auftritt nach zu urteilen, schon ziemlich gut auf das hochenergetische Spiel Gerwin Eisenhauers eingestellt. Dessen Rhythmusmaschine lief wie am Schnürchen und der famos aufgelegte Walter Lang zelebrierte dazu seinen unverwechselbaren, lyrisch-explosiven Klavierstil.

Walter Lang. Foto: Koch
Walter Lang. Foto: Koch

Noch einen Schritt weiter geht Lorenz Kellhuber. Die Intensität, zu der er sich gemeinsam mit Arne Huber und Gabriel Hahn hochzuschrauben vermag, steht an diesem Wochenende einsam da. Über einem unerbittlichen, einen punktierten Sechsachtelbeat festnagelnden Bassmodell entfesselt er eine rechte Hand, die jeder klaviertechnischen Beschränkung spottet und jegliche harmonische und melodische Grenze ignoriert.

Lorenz Kellhuber. Foto: Koch
Lorenz Kellhuber. Foto: Koch

So randvoll mit Jazzenergie war der Platz vor Regensburgs „Haus der Musik“ wohl seit dem denkwürdigen Auftritt der Monika Roscher Big Band vor drei Jahren nicht mehr.

 

Bayern 2 sendet im Rahmen der Jazznacht vom Samstag/Sonntag, 1./2. August (0.05 bis 2.00 Uhr) Auszüge seiner Mitschnitte vom Bayerischen Jazzweekend. Mit dabei u.a.: Michael Binder Sextett, Meretrio, Bazga, Melt Trio, Omer Klein Trio.

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