Die empirische Sozialforschung ist für gewöhnlich unbestechlich. Die Ergebnisse sind nicht in Zweifel zu ziehen. Da kann man die Akkorde zählen, Intervalle in Konstellationen setzen und den Jazzomat ranlassen. Oder man kann die soziale Situation der Jazzmusiker erheben wie in der JazzStudie 2015 … Und manches Ergebnis prallen direkt auf Milz und Hirn, so wie dieses, das in einer Pressemitteilung im Maileingang landete: „Untreue hören Jazzmusik“: „Jazz, Salsa und Pop sind die drei Musikgenres mit Fans, die am wahrscheinlichsten ihrem Partner untreu sind.“
Herausgefunden hat das ein Institut mit dem vielversprechenden Namen Victoria Milan. Das hat seine Mitglieder nach ihrem Musikgeschmack befragt und danach, ob sie beim Musikhören eher an ihre Liebhaber oder die langfristigen Partner denken täten. Eine absolut hieb- und stichfeste Erhebungsmethode liegt dem zugrunde. Fakten: Es geht hier um 19% der JazzhörerInnen, die potentiell angeblich untreu sind. Diese ruchlosen, amoralischen Jazzfans aber auch. Wer seine Ruhe suchen möchte, meide den Jazzclub, das Jazzfestival. Jeder Ton droht zu einer Verführung zu werden. Gierige Blicke plötzlich überall.
Der Chef von Victoria Milan, ein gewisser Sigurd Vidal (oder Vedal, die Mail ist hier nicht ganz eindeutig) philosophiert dazu: „Die Lieder, die man wählt, um sie im Auto auf dem Weg zu seinem Liebhaber zu hören, oder die Musik, die man spielt, wenn man mit ihm zusammen ist, wirkt viel berührender als die Musik, mit bei der man zehn Jahre zuvor zum Altar ging“, sagt Mr. Vidal laut Meldung. Ein definitives K.O.-Kriterium für Wagner, Mendelssohn-Bartholdy und so Hochzeitsschleimmusik.
Vielleicht ist lässt sich das Ergebnis strategisch, kommunikativ und damit positiv nutzen. Jazz ist Freiheit, heißt es doch in Jazzkreisen in Dauerschleife. Freiheit in der Wahl von LiebespartnerInnen inklusive. Das, wo doch gerade die urbanen Strukturen (kurz: Berlin) sich als Liebestöter erweisen, die Chance für ein positives Marketingkonzept.
Aus einer weiteren Statistik, die „Die Welt“ entdeckte, kann man entnehmen: „Überhaupt, Beziehungen scheinen für die sexuelle Erfüllung recht kontraproduktiv zu sein, in allen Altersgruppen: Insgesamt bezeichnete sich jeder vierte Mann mit fester Freundin als „sexuell nicht glücklich“, unter den Ehemännern sind es sogar 28 Prozent.“ Nachgedacht? Jazz als Mittel gegen Einsamkeit und als Mittel fürs kollektive Glück. Jazz is hot & free at all, jetzt, wo man in den Clubs ja nicht einmal mehr rauchen darf. Mit Jazz kommste wieder ins sexuelle Geschäft, da geht was. Jazz macht glücklich. Ein zweiter Anlauf für die „saxuelle Befreiung“ steht an.
Wenn man sich dagegen ansieht, welche Musikgenres für die Neigung zu geringer ausgeprägter Untreue stehen (Electronica 4%, Indie 3% und Heavy Metal 2%) wird die Swingrichtung klar wie Königsberger Klopse. Die Zukunft der Nachwuchsgenerierung gehört ebenso dem Jazz. Happy Sound dazu und ab geht die Chose.
Etwas erschreckend dagegen ein Nebenergebnis der Studie von Victoria Milan. Auf die Frage, ob man gerne Musik höre, antworteten 19% der 6558 Teilnehmer mit: Nein! Ja, mit „Nein“. Woran das liegen mag? Es gibt eben einfach zu wenig Jazz im Radio, im Netz, in der Öffentlichkeit. Das muss sich ändern. Da ist die Politik gefragt.