Audience Development (10) – Zielgruppenüberlegungen

In den letzten Blogfolgen habe ich viel über Vermittlung geschrieben. Dabei ging es in erster Linie darum, was wir vermitteln möchten und wie wir das tun können. Ebenso interessant ist jedoch die Frage, an wen wir denn vermitteln wollen. Glaubt man dem Volksmund, ist Jazz Musik für ältere Akademiker. Das Bild vom „weißbärtigen, Pfeife rauchenden Studienrat“ wird nach wie vor gern bemüht, hält aber weder der oberflächlichen Überprüfung im Konzertsaal noch den – wenigen – wissenschaftlichen Untersuchungen zu diesem Thema stand.

Ein Meer in Silber. Foto: Hufner
Ein Meer in Silber. Foto: Hufner

Leider liegen die umfassenden Erhebungen zum deutschen Jazzpublikum bereits 25 Jahre und mehr zurück (Rainer Dollase/ Michael Rüsenberg/ Hans J. Stollenwerk: „Das Jazzpublikum“, 1978; Fritz Schmücker: „Das Jazzkonzertpublikum“, 1990). Die jüngste Studie dieser Art, die ich finden konnte, wurde von Leila Guilloteau für das französische Magazin „Jazzman“ verfasst, untersucht das Publikum im Pariser Jazzclub „Sunset“ und wurde 1995 veröffentlicht.

Einige Erkenntnisse sind jedoch allen genannten Studien gemein. Zunächst einmal gehört das Gros des Publikums nicht etwa der Generation 50+ an, sondern ist jünger oder knapp älter als 30 Jahre (Dollase: 89% der Besucher jünger als 30 bei zeitgenössischen Jazzkonzerten, 57% bei Mainstream-Jazzkonzerten; Schmücker: 65% der Besucher jünger als 30 Jahre; Guilloteau: 73% der Besucher jünger als 34 Jahre). Die Mehrheit des Publikums hat mindestens Abitur (Dollase: knapp zwei Drittel; Schmücker: 69%; Guilloteau: 65%) und gehört einer gebildeten, bürgerlichen Mittelschicht an. Der Ledigen-Anteil überwiegt, teilweise deutlich. Ein Großteil des Publikums ist männlich (Dollase: 75% bei zeitgenössischen, 69% bei Mainstream-Jazzkonzerten; Guilloteau: 64%) und politisch links der Mitte verortet (Dollase: 87%; Schmücker: 91%).

„Na herrlich, und schon haben wir unsere Zielgruppe!“ frohlockt der Marketing-Spezialist an dieser Stelle. Aber ganz so einfach kann die Sache ja nicht sein.

Die allseits beklagte Alterung des (Jazz-)Publikums lässt sich im Studienvergleich zwar nachweisen, andererseits unterscheiden sich die entsprechenden Kennzahlen zum Teil deutlich, je nach Ort des Konzerts und Art der Musik, die dort gespielt wird.
Würde man heute die Publikumsdaten eines Jazzkonzerts in der Kölner Philharmonie mit jenen eines Jazzkonzerts im Rahmen des „SummerKLAENG“-Festivals (ebenfalls Köln) vergleichen, erhielte man vermutlich ebenfalls deutlich unterschiedliche Ergebnisse.
Hinzu kommt, dass die demografische Entwicklung in Deutschland allen Bemühungen zur Erschließung jüngeren Publikums ungünstig entgegen wirkt. Waren 1978 noch 42% der deutschen Bevölkerung jünger als 30 Jahre, sind es heute nur noch 30% (Quelle: Statistisches Bundesamt).

Was wir aber positiv bedenken sollten: ältere Generationen sind heute nicht nur zahlreicher, sondern scheinen auch wesentlich länger aktiv zu sein und potentiell gewillt, das Haus zu verlassen, um ins Konzert zu kommen.
Wir müssen daher zwei Fragen beantworten: wie erreichen und halten wir das bestehende Publikum, und wie rekrutieren wir in jüngeren Generationen neue Hörer? Die Chancen stehen gut, dass wir darauf zwei völlig unterschiedliche Antworten erhalten. Verzichten können wir jedoch auf keine der beiden Gruppen.

Welches Publikum würdet ihr euch für euer Konzert wünschen? Was hat dieses Publikum für Ansprüche, Wünsche, Träume, sonstige Interessen? An welchen Orten hält sich dieses Publikum am liebsten auf? Welche Informationskanäle benutzt es, um von eurer Veranstaltung zu erfahren?

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2 Kommentare

  1. Zufall! Gestern feierten wir in Oldenburg das 5-jährige Bestehen des Musik- und Literaturhauses Wilhelm13. Ich bin dort im Rahmen der Jazzmusiker-Initiative Oldenburg für ca. 60 Jazzkonzerte im Jahr verantwortlich. In meiner Rede zum Thema „Befindlichkeiten eines Jazzveranstalters“ war ein Punkt „Verjüngung des Publikums“. Der altbekannte Jazzfan verschwindet, neu ist der Jazzinteressierte. Dieser ist grob eingeteilt zwischen 45 und 60 und bringt gerne auch seine(n) Partner(in) oder Freunde mit. Unser Programm ist relativ modern, es spielen viele jüngere Bands.

    Die Frage ist auch für mich, wie man diese Zielgruppe anspricht bzw. länger ans Haus bindet. Die Konkurrenz ist groß.

    Junge Menschen kommen nur, wenn ihre Freunde auf der Bühne stehen.

    Es bleibt spannend!

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