Eine landläufige Meinung besagt, dass Bebop den Anfang vom Ende des Jazz als populäre Musik markiert. Selbst wenn ein oberflächlicher Blick auf die Publikumszahlen diese These stützen mag, wird daraus häufig der falsche Schluss gezogen, das Problem liege in der Verkomplizierung der Musik, folglich seien die Musiker schuld an der eigenen Misere.
Bedenkt man jedoch, welchen unschätzbaren Wert die Entwicklung des Bebop für Fortschritt, Lebendigkeit und künstlerische Relevanz des Jazz hatte, wird schnell deutlich, dass die Sache so einfach nicht sein kann.
Der Artikel „Jazz psychologisch gesehen. Das Publikum des Jazz“, den Siegfried Schmidt-Joos im Sommer 1958 in der Zeitschrift „Schlagzeug“ veröffentlichte, beleuchtet die Entwicklung im Verhältnis des Musikers zu seinem Publikum.
Er zeichnet den Weg vom „singenden Kollektiv“ der Naturvölker und der rituellen Musik Afrikas, bei denen durch die unmittelbare Beteiligung aller keinerlei Trennung zwischen Künstler und Publikum herrschte, bis hin zum spätzeitlichen Bild des individuellen Künstlers, der vom Publikum isoliert ist und den Kontakt zu ihm verloren hat.
Bis in die dreißiger Jahre hinein sei das grundsätzliche Verhältnis zwischen Jazzmusiker und Publikum intakt geblieben. Dann jedoch habe die große Beliebtheit des Jazz in der Swing-Ära zu einer drastischen Zunahme von Mittlern (Schallplattenproduzenten, Rundfunkanstalten, Managern und Veranstaltern) geführt, welche die Musik kommerzialisiert und den Kontaktverlust zwischen Musiker und Publikum befördert hätten, was wiederum das musikalische Niveau stagnieren lassen habe.
Schmidt-Joos sieht daher den Bebop als Revolte, als „großes Trotzdem“ einzelner Musiker, die willens waren, auch ohne das scheinbar nur noch an eingängiger Tanzmusik interessierte Publikum neue Wege zu beschreiten. Durch diesen Akt sei das Gemeinsamkeitserlebnis zwischen Musiker und (einem größeren) Publikum erstmals infrage gestellt worden. Der nachfolgende Cool Jazz der Tristano-Schule habe diese Entwicklung – weg von der gemeinschaftlichen Erfahrung, hin zur individuellen Zuhörkultur – konsequent fortgesetzt.
Gleichzeitig verweist Schmidt-Joos auf eine merkliche Intensitätssteigerung jener Jazzformen, denen das „Niederreißen der Trennung von Musiker und Publikum durch die körperliche Aktion beider Teile“ wichtig ist, etwa der afroamerikanischen Gospelmusik.
Bedenkt man zudem, dass im Jahr nach Erscheinen dieses Artikels nicht nur Miles Davis‘ „Kind of Blue“ und Wayne Shorters Plattendebüt „Introducing…“, sondern auch John Coltranes „Giant Steps“ und Ornette Colemans „The Shape of Jazz to Come“ veröffentlicht wurden – vier bahnbrechende Alben, die der Musik-/Kunstform Jazz auf unterschiedlichste Art neue Wege aufzeigten und teils besser, teils schlechter ihr Publikum fanden – wird deutlich, dass die Entwicklung des Verhältnisses zwischen Musiker und Hörer, Kunstschaffendem und Kunstrezipienten nie linear verläuft, sondern stets neu verhandelt wird.
Worum es also immer geht, ist die Frage der Vermittlung zwischen Künstler und Publikum. Aufgrund der oben beschriebenen Gleichzeitigkeit verschiedener Strömungen dürfte es nahezu unmöglich sein, eine übergeordnete, genreumfassende Vermittlungsstrategie zu entwickeln, zumal nicht jede Spielart des Jazz des gleichen Maßes an Vermittlung bedarf. Jazz ist spätestens seit dem Bebop, wenn nicht gar seit jeher ein Hybridwesen, in dem die Frage nach dem jeweiligen Verhältnis Musiker/ Publikum fast auf individueller Basis verhandelt werden muss.
Schmidt-Joos gibt sich optimistisch: „Es gibt keine Kunst, die nicht ihr Publikum fände.“ Die interessante Frage ist jedoch, wie die jeweilige Kunst ihr Publikum finden kann. Daher werde ich in der kommenden Blogfolge einige grundsätzliche Gedanken zum Thema „Vermittlung“ beschreiben.