Aus gegebenem Anlass aus unserem Archiv hervorgeholt: ein Portrait von Reinhard Köchl aus der JazzZeitung September 1998 – Was Clark Terry bei Duke, Basie und den anderen lernte, reicht er bedingungslos an eine neue Generation von Musikern/Hörern weiter. Ausgerechnet der „Spiegel“ mit seinem stets wie eine Leuchtreklame vor sich hergetragenen Anspruch von Kultur als bierernster Angelegenheit legte vor gut zwei Jahren den Finger in die Wunde. Warum das Publikum heute nur mehr verächtlich die Nase rümpfe, wenn ein Jazzmusiker in seine Show gepflegte Unterhaltungselemente einstreue, fragte Peter Bölke, der letzte wirkliche Jazzfan in den Redaktionsstuben des Hamburger Nachrichtenmagazins. Vor allem bei Farbigen sei dies krass.
Kaum betätige sich nämlich einer von ihnen als Anekdotenerzähler oder Grimassenschneider, würde sofort das uralte Klischee vom grinsenden, immerlustigen Onkel Tom auferstehen. Dabei, so befand Bölke, brächte doch gerade ein wohldosierter Anteil an Jokes und Anekdoten Leben in jede der mitunter wirklich stocksteifen Darbietungen. Das Fazit klang deshalb wie ein Fanal für mehr Lockerheit: „Laßt ihnen ihre Show!“ Obwohl explizit keine Namen genannt wurden, wußte jeder halbwegs Eingeweihte, wen der „Spiegel“ mit diesem Appell meinte: Louis Armstrong, Dizzy Gillespie und Clark Terry, die Gaudiburschen schlechthin an der Trompete. Drei, die nie danach strebten, mit ihrer hohen Kunst ausschließlich eigene Gelüste zu sättigen. Sie suchten vielmehr stets den Kontakt zu den Menschen, zehrten vom Feedback, freuten sich, wenn sich andere über ihre Musik freuten, und überzogen die streng intellektuell ausgerichtete Kaste des Jazz mit Optimismus, Frohsinn und Leichtigkeit, ohne freilich in ihrem Vortrag Differenzierungen, Sensibilität und Brillanz auszuklammern. Armstrong und Gillespie sind tot, und damit ist das schwer zu fixierende Genre des Jazz-Entertainment fast vom Aussterben bedroht. Wenn es da nicht noch Clark Terry gäbe.
In Neuburg
Zum ersten Mal traf ich den aus St. Louis stammenden Schalk im März 1994 in Neuburg an der Donau. Mit den „Newport Festival Allstars“ sollte er dort gastieren, natürlich Ellington-Reminiszenzen aus erster Hand zelebrieren und mit einem jugendlichen Scharfmacher, dem zu dieser Zeit noch weitgehend unbekannten, 50 Jahre jüngeren Trompeter-Kollegen Nicolas Payton, den Schalltrichter kreuzen. Obwohl Clark Terrys Beine zu jener Zeit begannen, sich langsam gegen die Rastlosigkeit ihres Besitzers zu wehren, schien ihn dies weder in seiner Umtriebigkeit zu hemmen, noch seine nie aufgesetzt wirkende, chronisch gute Laune zu beeinträchtigen. Zum Ende meines für eine Radiosendung mitgeschnittenen Interviews kam ihm plötzlich die Idee, zwei Teaser, also Programmankündigungen, nach amerikanischem Broadcast-Muster zu sprechen. Zunächst einen „konservativen“ („Hi, this is Clark Terry, you are listening to the ‘Blue Hour’, the best jazzshow on the planet!“), dann einen „hippen“, rasend-schnell konstruiert aus Silben, Texten, Textfragmenten und Genuschel. Terry nennt diesen Vokalstil seit 1964, als er mit Oscar Peterson die LP „Trio Plus One“ einspielte, „Mumbles“ und macht sich damit über die alten Bluesbarden lustig, „die nach den ersten Strophen nicht mehr so richtig zu verstehen waren.“
Am Schluß folgte dann ein lang gezogenes, tief gebrummtes, kehliges „Man, you gotta hear some goooood stuff!“ Meine Tochter, damals zwei Jahre alt, liebte diesen Teaser über alles, weil er sie, aber auch viele Erwachsene, so herrlich zum Lachen bringen konnte. Fast scheint es, als versuche Clark Terry, am 14. Dezember 1920 geboren, grund-sätzlich, den Widrigkeiten des Lebens mit einem massiven Schutzschild aus Humor zu begegnen. Wie anders hätte sich eine entbehrungsreiche Kindheit zusammen mit neun Geschwistern in der Hochphase der Rezession in den zwanziger Jahren sonst überhaupt meistern lassen? Wenn der 78jährige erzählt, daß „meine Familie ärmer war, als die Kirchenmäuse in Rußland,“ dann spricht daraus auch der leise Stolz eines Überlebenskünstlers, der es geschafft hat, diesen schwierigen Verhältnissen zu entfliehen und sich durch knochenharte Arbeit den Ruf eines der wichtigsten Jazzmusiker des ausklingenden Jahrhunderts zu erwerben. Daß seine Karriere bereits mit einem Gag begann, kommt deshalb kaum von ungefähr: schon als kleiner Junge formte Clark durch ein aufgerolltes Stück Gartenschlauch seine ersten Töne. An der Vashion High School in St. Louis galt sein Interesse zu-nächst einer Ventilposaune, aber wenig später entdeckte er bereits den magischen Zauber der Trompete. Um die Privatstunden dafür finanzieren zu können, versuchte sich der kräftige Bursche zunächst als Preisboxer, wechselte jedoch schnell in das nicht minder risikoreiche Metier der lokalen Musikszene seiner Heimatstadt, unter anderem als Begleiter von Ida Cox. Statt eines Fronteinsatzes bekam Clark Terry ab 1942 die Gelegenheit, in einer Allstar-Band der US-Navy unter der Leitung von Willie Smith sein enormes Potential zu verfeinern. Später, als 25jähriger, machte er durch Engagements bei Lionel Hampton, George Hudson, Charlie Barnet, Eddie „Cleanhead“ Vinson und Charlie Ventura so stark auf sich auf-merksam, daß Count Basie 1948 den jungen Trompeter in sein Sextett um Buddy DeFranco, Freddie Greene, Jimmy Lewis, Gus Johnson und Bob Graff holte. Die Liaison mit dem Count hielt drei Jahre, in denen sich Terrys große Liebe zum Flügelhorn entwickelte, weil ihm dieses Instrument einen noch intimeren, nah am emotionalen Ausdruck der Saxophonisten liegenden Sound gestattete. Es folgte 1951. „Ich erfuhr, daß sich Duke Ellington für mich interessierte. Doch die Annäherung gestaltete sich zunächst ausgesprochen schwierig. Ellington hatte mich zuvor bei Basie gehört, wollte aber seinem alten Freund keine Musiker abwerben. Hinzu kam noch, daß Basie kurz zuvor meine Gage um zehn auf 125 Dollar angehoben hatte. Ich war zu jener Zeit allerdings sehr erschöpft und brauchte dringend Urlaub. So kam ein Deal zustande: ich kündigte bei Basie und machte einen Monat Pause. Und diese Pause bezahlte mir Dukes Agent mit 200 Dollar. Was lag also näher, als fortan bei ihm zu spielen. Ich sah mich jedoch nie als Nachfolger von Rex Stewart mit seiner Halbventil-Technik.Diese Geschichte hat Leonard Feather erfunden, und sie hängt mir seither wie ein Blutegel am Hals.“
Bei Ellington
Clark Terry blieb bis 1959 bei Ellington. Ein Verhältnis, das stets auf gegenseitiger Wertschätzung basierte. Während der Duke seinen Trompeter als einen „Musiker außerhalb jeder Kategorie“ pries, betont Terry oft und gerne, „daß es Duke war, der effektiv aus mir einen großen Mann machte.“ Er habe nie Stimmen für die erste, zweite, dritte oder vierte Trompete geschrieben, sondern ganz individuell für ihn sowie dessen legendäre Kollegen Cat Anderson, Shorty Baker und Ray Nance. „Er formte uns nach seinen Vorstellungen, und wir haben uns bereitwillig formen lassen,“ bekennt der Meister vokaler Tongebungen und Stimmungen. „Von ihm haben wir aber auch erst erfahren, was Swing überhaupt bedeutet.“ Ob Basie oder Duke, Art Tatum, Charlie Parker, Lester Young, Earl Hines, Thelonious Monk, Horace Silver, Gerry Mulligan, Ray Charles, Ella Fitzgerald, Gil Evans oder sogar Cecil Taylor, mit denen er spielte, oder sein Job als erster festangestellter farbiger Jazzmusiker im NBC-Orchester von Skitch Henderson in Johnny Carsons „Tonight Show“ ab 1960; derart einschneidende Begegnungen und Erlebnisse prägen Clark Terrys zweites Gesicht. Denn neben dem begnadeten Entertainer, der wie kein Zweiter virtuose Noten in positive Stimmungen zu packen versteht, existiert da noch der selbstlose Förderer junger Talente. Als engagierter Lehrer weiht Terry junge Trompeter am nach ihm benannten Jazzinstitut in Des Moines/ Iowa in die Geheimnisse der Zirkularatmung ein, als anerkannter Fachmann verfaßte er Standardwerke wie „Let’s Talk Trumpet: From Legit To Jazz, Interpretation Of The Jazz Language“, unzähligen Kollegen rund um den Globus half er mit seiner immensen Erfahrung, ihren persönlichen Stil zu entwickeln. Selbst an Miles Davis ging dessen missionarischer Eifer nicht spurlos vorbei. Er bezeichnete ihn als seinen mithin wichtigsten Einfluß. Clark Terry weiß genau, daß seine Kunst nur dann wirklich einen unvergänglichen Wert besitzt, wenn sie auch in die Zukunft hinüberstrahlt. Dem in München lebenden Trompeter Dusko Gojkovic hat sich ein Satz des langjährigen Mentors und Wegbegleiters unauslöschlich ins Gedächtnis eingebrannt. Als er sich eines Tages bei Terry für die vielen verborgenen Hilfestellungen revanchieren wollte, legte ihm dieser die Hand auf die Schulter und sagte: „Weißt Du was? Wenn eines Tages auch so ein junger, begabter Trompeter zu Dir kommt und Dich fragt, wie etwas gespielt wird, dann gib ihm alles weiter, was Du weißt.
Damit kannst Du Deine Schuld begleichen. Trag die Fackel weiter!“